Entscheidungsstichwort (Thema)

Sicherungsmaßnahmen eines Krankenhauses gegen Sturz eines Patienten

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Krankenhaus übernimmt mit der stationären Aufnahme eines Patienten nicht nur die Aufgabe der einwandfreien Diagnose und Therapie, sondern auch Obhuts- und Schutzpflichten dergestalt, ihn im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren vor Schäden und Gefahren zu schützen, wenn sein körperlicher oder geistiger Zustand dies gebietet. Maßgebend ist, ob wegen der Verfassung des Patienten aus der Sicht ex ante ernsthaft damit gerechnet werden muss, dass er sich ohne Sicherungsmaßnahmen selbst schädigen könnte.

2. Die Kausalität eines Behandlungs- oder Pflegefehlers für einen Gesundheitsschaden hat im Arzthaftungsprozess grundsätzlich der Anspruchsteller zu beweisen; dies gilt auch, wenn der Fehler in einem Unterlassen - hier der gebotenen Beobachtung des Patienten - besteht.

3. Es stellt kein grobes pflegerisches Versäumnis dar, einen Patienten, dessen Zustand unauffällig ist und dessen Vitalparameter (arterieller Blutdruck, Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung des Blutes) über Sensoren und Monitore, die bei unruhigen Bewegungen des Kranken ein Alarmsignal auslösen, überwacht werden, über einen gewissen Zeitraum unbeobachtet zu lassen.

 

Verfahrensgang

LG Düsseldorf (Urteil vom 19.12.2002; Aktenzeichen 3 O 82/01)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 19.12.2002 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Düsseldorf wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

 

Tatbestand

Der bei der AOK krankenversicherte Patient L.S. - geboren am 14.4.1953 - wurde am 10.12.1997 mit einer beidseitigen Pneumonie in der internistisch-kardiologischen Intensivstation des L.-K. in N., dessen Träger die Beklagte ist, aufgenommen. Aufgrund eines akuten Lungenversagens wurde der Patient vom nächsten Tag an auf der anästhesiologischen Intensivstation per Intubation unter Sedierung künstlich beatmet. Nachdem sich am 19.12.1997 die Lungenfunktion deutlich gebessert hatte, wurde mit der Entwöhnung (weaning) von dem Beatmungsgerät begonnen. Am Abend des 19.12.1997 war ab 20.00 Uhr eine assistierte Spontanatmung (ASB) möglich; der Patient war wach. Vom Morgen des nächsten Tages an - 20.12.1997 - wurde die sedierende Medikation reduziert; Herr S. wurde aus dem Spezialbett in ein normales Krankenhausbett umgelagert und um 13.30 Uhr extubiert. Danach wurde er mit einer Sauerstoffmaske versorgt; die apparative Überwachung des arteriellen Blutdrucks, der Herztätigkeit durch EKG sowie der Sauerstoffsättigung des Blutes über Sensoren und Monitore wurde fortgeführt. 15-20 Minuten vor 18.00 begab sich der für den Patienten zuständige Pfleger in seine Pause und ließ Herrn S. unbeobachtet zurück. Gegen 18.00 Uhr wurde der Patient nach einem Sturz aus dem Bett auf dem Rücken am Boden liegend aufgefunden; als Ursache hierfür wurde von den Ärzten der chirurgischen Klinik der Beklagten in einem im März des darauf folgenden Jahres ausgefüllten Fragebogen der Klägerin "Agitation" angegeben.

Die sogleich nach dem Unfall durchgeführte Röntgenuntersuchung des Patienten ergab eine rechtsparetiale Fraktur des Schädels; das Schädel-CT zeigte eine linksfrontale und rechtsparetiale Kontusionsblutung sowie eine Subarachnoidalblutung. Herr S. wurde in die neurochirurgische Klinik der Universität D. verlegt; dort wurde am 21.12.1997 eine externe Ventrikeldrainage angelegt; am 27.12.1997 erfolgte eine osteoklastische Trepanation. In der Zeit vom 29.1. bis zum 13.3.1998 absolvierte Herr S. eine Rehabilitation in der Klinik B. in K.; später wurde ihm während eines stationären Aufenthaltes vom 13. bis zum 28.8.1998 im Städtischen Krankenhaus D.-N. ein Kalottenfragment links fronto-parietio-temporal replantiert.

Die Klägerin macht aus übergegangenem Recht gem. § 116 SGB X Ersatzansprüche geltend und trägt vor, da die Behandlung des Patienten wegen seiner Ursprungsbeschwerden auf Kosten der A.R. durchgeführt worden sei, sei er bei ihr unfallversichert gewesen; sie habe die unfallbedingten Kosten der Krankenhausbehandlung, der Operation und der Rehabilitation tragen sowie das Verletztengeld und die Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen. Die Klägerin wirft der Beklagten vor, der Sturz des Patienten sei darauf zurückzuführen, dass ihre Bediensteten die ihnen obliegenden Obhutspflichten verletzt hätten. Sie hätten es pflichtwidrig unterlassen, die in Anbetracht des Krankheitsbildes und des Zustandes des Patienten erforderlichen Sicherungsmaßnahmen - Anbringung eines Bettgitters, Fixierung oder dauernde Überwachung durch das Pflegepersonal - zu ergreifen. Hinsichtlich der Schadensberechnung wird auf die Aufstellung in der Klageschrift (Bl...

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