Leitsatz (amtlich)
1. Zur Haftung des Vertriebshändlers von Medizinprodukten (hier: Bruch der Elektrode eines Implantierbare Cardioverter Defibrillatoren (ICD))
2. Eine Haftung wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht kommt in Betracht, wenn derjenige, der ein Produkt in den Verkehr bringt, einer ihm obliegenden Pro-duktbeobachtungspflicht und daraus resultierenden Reaktionspflicht (Warn- und ggf. Rückrufpflicht) nicht nachkommt. Für Medizinprodukte gelten jedoch spezielle Pflichten, die der Gesetzgeber auf der Grundlage von §§ 29, 37 Abs. 7 MPG in der Verordnung über die Erfassung, Bewertung und Abwehr von Risiken bei Medizinprodukten (Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung - MPSV) detailliert geregelt hat. Die in der Verordnung enthaltenen Regelungen konkretisieren die Produktbeobachtungspflicht und die Pflicht zur Durchführung korrektiver Maßnahmen für Medizinprodukte, so dass regelmäßig nur dann eine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorliegt, wenn den Vorschriften der MPSV nicht Genüge getan wurde.
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 22.09.2010; Aktenzeichen 13 O 44/09) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 22.9.2010 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 13. Zivilkammer des LG Düsseldorf (Az.: 13 O 44/09) wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Klä-ger.
Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I. Der Kläger, dem ein Defibrillator implantiert wurde, macht mit der Klage gegen die Beklagte Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche wegen mehrerer nicht indizierter Schockabgaben des Defibrillators geltend.
Die Beklagte, die unter dem Namen "A. GmbH" firmiert, ist eine Tochtergesellschaft der A. Inc. mit Sitz in C., D., USA. Letztere stellte in der Zeit von September 2004 bis zum 15.10.2007 sog. "B. Elektroden" vom Typ X1, X2, X3 und X4 für Implantierbare Cardioverter Defibrillatoren (ICD) her, die in der Bundesrepublik Deutschland alleine von der Beklagten vertrieben wurden.
ICD sind batteriebetriebene Medizinprodukte, die in den menschlichen Körper implantiert und über eine Elektrode (Sonde), die Kontakt zum Herzmuskel hat, ständig die Herztätigkeit überwachen. Registriert das Gerät über die Elektrode eine lebensgefährliche oder gesundheitsgefährdende Herzrhythmusstörung, gibt es automatisch Stromstöße (sog. Schocks) ab, um den Herzrhythmus zu normalisieren. Die Stärke des Stromstoßes ist abhängig von der Art der Rhythmusstörung, wobei die stärkste Stufe die Defibrillation darstellt.
Die zu implantierende Elektrode muss extrem flexibel konstruiert sein und einen möglichst geringen Durchmesser haben, damit sie das Blutgefäß, durch das sie zum Herzmuskel geführt wird, nicht verstopft bzw. nicht maßgeblich zu einer Verstopfung beiträgt. Die Elektroden sind, wenn sie sich mehrere Jahre im Körper des Patienten befunden haben, in vielen Fällen nicht mehr risikolos explantierbar, so dass sie dann im Körper des Patienten verbleiben und eine neue Elektrode daneben gelegt und aktiviert wird. Je dünner die Elektrode ist, desto einfacher und sicherer sind spätere Implantationen und desto geringer ist auch das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden. Die Elektroden sind einer extremen Belastung ausgesetzt. Bei einer durchschnittlichen Frequenz schlägt das Herz ca. 70 Mal pro Minute, was ca. 4.200 Schlägen pro Stunde, ca. 100.000 Schlägen pro Tag und ca. 36 Mio. Schlägen pro Jahr entspricht. Die Elektrode wird daher insbesondere an der Spitze, beim Eintritt in den Vorhof des Herzens und hinter den Klappen im Ventrikel Druck-, Dehn- und Biegebewegungen ausgesetzt. Hinzu kommen Körperbewegungen und sonstige mechanische Einwirkungen, die im Bereich der Elektrodenbefestigungen am Konnektor des Defibrillators und der Vene ebenfalls erhebliche Druck-, Dehn- und Biegebewegungen bewirken.
Bei den im Jahr 2004 durch die A. Inc. eingeführten Elektroden des Typs "B." handelt es sich um solche, die im Vergleich zu deren Vorgängermodellen dünner sind. Vor der Einführung der Elektrode B. X4 wurden keine klinischen Studien durchgeführt, klinische Studien wurden jedoch mit den Elektroden B. X1 und X1 aus derselben Produktgruppe vorgenommen. Die Elektrode B. X4 hatte aber nach beanstandungsfreier Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrens durch die zuständige Benannte Stelle, die niederländische E. Quality B. V., die CE-Kennzeichnung erhalten. Der Elektrode ist eine Gebrauchsanweisung beigefügt in der das Implantationsverfahren näher beschrieben ist (Anlage B 14).
Bei allen erhältlichen Elektroden sämtlicher Hersteller besteht das Risiko, dass diese einen Defekt aufweisen und infolgedessen inadäquate Schocks abgeben. Nach dem unbestrittenen Vorbringen der Beklagten weisen die auf dem M...