Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz und Schmerzensgeld: Haftung für die Verursachung eines Verkehrsunfalls ohne Mitverschulden des Geschädigten
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein sich auf eine Sonderweg (hier: Radweg) bevorrechtigter Verkehrsteilnehmer darf auf ein verkehrsrichtiges Verhalten des anderen Verkehrsteilnehmers (hier: Fußgängerin) vertrauen, wenn sich dieser zunächst im Bereich der Bushaltestelle - wenn auch dicht am Radweg - gefahrenneutral positioniert hatte.
b) Er darf sich deshalb darauf beschränken, in der ersten Annäherungsentfernung von etwa 10 m gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 2 StVO durch ein Schallzeichen (Betätigung der Fahrradklingel) auf sich als ein ordnungsgemäß den Sonderweg benutzender Radfahrer aufmerksam zu machen.
2. Eine möglicherweise "falsche" Reaktion des Radfahrers (hier: in Form eines zu starken Bremsens) stellt jedenfalls dann kein (Mit-) Verschulden dar, wenn er in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht voraussehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat. Unternimmt er deshalb nicht das Richtige und Sachgerechte, um den Unfall zu verhüten, sondern reagiert vielmehr aus verständlicher Bestürzung objektiv falsch, so trifft ihn an einem Zusammenstoß mit einem anderen Verkehrsteilnehmer kein Verschulden.
3. 2000 EUR Schmerzensgeld für einen Radfahrer aus Verkehrsunfall nach Sturz infolge starken Bremsens bei Unfallschock, Schürfwunde am Stirnbein rechts, Risswunde am rechten Ohr durch einen Brillenbügel, Prellung und Hämatome an der Schulter, Quetschung der Rotatorenmanschette sowie eine Prellung des linken Zeigefingers.
Unfallunabhängig bestand bereits ein Hörschaden links.
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 20.11.2006) |
Tatbestand
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Ersatz seiner materiellen und immateriellen Schäden aufgrund eines Unfallereignisses in Anspruch, welches sich am 1. September 2004 gegen 12.30 Uhr in Neuss auf der Further Straße in Höhe des Hauses Nr. im Bereich einer Bushaltestelle mit einem angrenzenden Rad- und Fußweg ereignet hat.
Der Kläger fuhr mit seinem Fahrrad auf dem Radweg in Richtung Neusser Nordstadt. Gleichzeitig hielt sich die Beklagte als Fußgängerin auf der gepflasterten Freifläche der Bushaltestelle auf, wobei sie mit dem Rücken zum Kläger stehend von ihm ausgesehen dicht links, am Radweg Aufstellung bezogen hatte. Sie unterhielt sich mit einer Bekannten, der Zeugin K., und einer weiteren Person, die sich rechts vom Radweg auf dem Gehweg in Höhe eines Kiosks aufhielten. Als sich der Kläger, dem die ebenfalls Fahrrad fahrende Zeugin K.-J. folgte, auf dem Radweg in einer Entfernung von 10 m der Personengruppe genähert hatte, klingelte er, um auf sich aufmerksam zu machen. Im Zuge seiner weiteren Annäherung machte die Beklagte eine Körperbewegung in Richtung auf den Radweg, wobei sie den Weg nur mit dem Fuß leicht berührte.
Dadurch sah sich der Kläger veranlasst, eine Vollbremsung einzuleiten. Das Vorderrad blockierte und der nicht durch einen Helm geschützte Kläger kippte mit dem Fahrrad vornüber. Er fiel über das Lenkrad zu Boden.
Er erlitt einen Unfallschock, eine Schürfwunde am Stirnbein rechts, eine Risswunde am rechten Ohr durch einen Brillenbügel, eine Prellung und Hämatome an der Schulter, eine Quetschung der Rotatorenmanschette sowie eine Prellung des linken Zeigefingers. Bereits vor dem Unfall war der Kläger auf dem rechten Ohr gänzlich taub und auf dem linken teilweise hörgeschädigt.
Der Kläger hat behauptet, er habe sich der Beklagten mit angemessener Geschwindigkeit, und zwar mit einer solchen von 15 km/h, genähert. Es habe für ihn beim Anblick der Beklagten kein Grund bestanden, seine Fahrtgeschwindigkeit zu reduzieren. Er habe sich vielmehr zunächst darauf beschränken dürfen, ein Klingelzeichen zu geben. Erst auf die Wahrnehmung hin, dass die Beklagte den Radweg überraschender Weise betreten habe, habe er sich zu einer Notbremsung veranlasst gesehen, um einen Zusammenstoß mit ihr zu vermeiden. Für ein Ausweichmanöver habe keine Zeit bestanden.
Aufgrund des Sturzes habe er einen Hörsturz auf dem linken Ohr erlitten.
Der Kläger hatte - wie unstreitig ist - im Zusammenhang mit seinen stationären Krankenhausbehandlungen, die bis zum 4. September 2004 dauerten, seiner krankengymnastischen Behandlung und der Besorgung von Medikamenten Eigenbeteiligungen und Zuzahlungen zu leisten, die zzgl. einer Unkostenpauschale von 25 EUR die Summe von 120,67 EUR ausmachen.
Der Kläger hat beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, das den Betrag von 5 000 EUR nicht unterschreiten sollte, welches er im übrigen aber in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2005 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 120,67 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2005 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, der Kläger habe sich zu schnell angenähert. Statt die Geschwindigk...