Leitsatz (amtlich)

Das Unterbleiben einer Thromboseprophylaxe bei einer die Muskelpumpe ausschaltenden zweiwöchigen Ruhigstellung des Unterschenkels durch einen Gipsverband kann sich im Einzelfall als grobes ärztliches Versäumnis darstellen, das eine Beweislastumkehr im Hinblick aus die Feststellung des Kausalitätsverlaufs rechtfertigt.

 

Verfahrensgang

LG Wuppertal (Urteil vom 02.05.2006; Aktenzeichen 5 O 90/04)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das am 2.5.2006 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des LG Wuppertal unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Teilschmerzensgeld i.H.v. 7.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 16.4.2004 zu zahlen.

2. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger von Juni 2002 bis Mai 2004 eine rückständige Verdienstausfallrente i.H.v. 22.109,52 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

aus 2.763,69 EUR seit dem 1.6.2002,

aus weiteren 2.763,69 EUR seit dem 1.9.2002,

aus weiteren 2.763,69 EUR seit dem 1.12.2002,

aus weiteren 2.763,69 EUR seit dem 1.3.2003,

aus weiteren 2.763,69 EUR seit dem 1.6.2003,

aus weiteren 2.763,69 EUR seit dem 1.9.2003,

aus weiteren 2.763,69 EUR seit dem 1.12.2003,

und aus weiteren 2.763,69 EUR seit dem 1.3.2004 zu zahlen.

3. Der Beklagte wird verurteilt, für die Zeit vom 1.6.2004 bis zum 31.12.2007 an den Kläger jeweils drei Monate im voraus eine Verdienstausfallrente i.H.v. 2.763,69 EUR und für die Zeit vom 1.1.2008 bis zum 27.4.2011 an den Kläger jeweils drei Monate im voraus eine Verdienstausfallrente in Höhe von 2.488,68 EUR zu zahlen.

4. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger rückständigen Verdienstausfallschaden (Sonderzahlung) i.H.v. 568,62 EUR für das Jahr 2002 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.1.2003 sowie i.H.v. 574,90 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1.1.2004 zu zahlen.

5. Es wird festgestellt, dass der Beklagte zum Ersatz aller künftigen materiellen und immateriellen Schäden verpflichtet ist, die dem Kläger aus der ärztlichen Behandlung vom 6.3.2001 entstehen.

6. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

7. Die in erster Instanz entstandenen Kosten des Rechtsstreits haben der Beklagte zu 92 % und der Kläger zu 8 % zu tragen.

Die kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten zu 97 % und dem Kläger zu 3 % auferlegt.

8. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Der Kläger darf die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

 

Gründe

A. Der am 27.4.1946 geborene Kläger war als Beamter im Justizdienst - zuletzt in der Position eines Ersten Justizhauptwachtmeisters - bei dem AG Solingen beschäftigt. Er war seit Jahren vor allem wegen Rückenbeschwerden bei dem Beklagten, der eine Facharztpraxis für Orthopädie betreibt, in Behandlung. Dabei soll der Beklagte nach der Darstellung des Klägers bereits im Jahre 1994 nach dem Anlegen eines Unterschenkelgipsverbandes Gefäßkomplikationen festgestellt haben. Am 6.3.2001 legte der Beklagte dem Kläger zur Behandlung von Beschwerden im Bereich des rechten Fußes für zwei Wochen einen Gipsverband an. Eine Thromboseprophylaxe erfolgte nicht. Nachfolgend entwickelte sich auf dem Boden einer Venenthrombose in zwei Etagen des rechten Beins eine am 21.3.2001 nachgewiesene Lungenembolie, die stationär behandelt werden musste. Im Juli 2001 und im Juli des Jahres 2004 kam es zu weiteren tiefen Beinvenenthrombosen, zuletzt mit multiplen Lungenembolien.

Der bereits seit dem 6.3.2001 dienstunfähig geschriebene Kläger wurde nach einer Begutachtung durch den Amtsarzt gem. § 47 LBG ab dem 1.6.2002 mit der Begründung der dauernden Dienstunfähigkeit vorzeitig in den Ruhestand versetzt.

Der Kläger lastet diesen Verlauf dem Beklagten an, dem er vorwirft, auf die gebotene medikamentöse Thromboseprophylaxe verzichtet und ihn vor dem Anlegen des Gipsverbandes auch nicht über das Risiko einer Thrombosierung aufgeklärt zu haben.

Den von dem Haftpflichtversicherer des Beklagten vorprozessual zur beliebenden Verrechnung gezahlten Betrag von 8.000 EUR hat der Kläger auf das i.H.v. insgesamt 20.000 EUR erstrebte Schmerzensgeld angerechnet. Mit der Klage hat er den Differenzbetrag i.H.v. 12.000 EUR als Teilschmerzensgeld verlangt. Ferner hat er folgende Ansprüche geltend gemacht:

  • Verdienstausfall für den Zeitraum von Juni 2002 bis Mai 2004 i.H.v. insgesamt 22.109,52 EUR;
  • Zahlung einer Verdienstausfallrente i.H.v. 2.763,99 EUR für jeweils drei Monate;
  • Erstattung ausgefallener Sond...

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