Leitsatz (amtlich)
1. Die privatschriftlich erteilte Zustimmung des Vertragserben zu einer sein Erbrecht beeinträchtigenden letztwilligen Verfügung führt nicht zu deren Wirksamkeit (BGH, Urteil vom 12.7.1989 - IVa ZR 174/88 -, BGHZ 108, 252).
2. Ein Vertragserbe, der einem sein Erbrecht beeinträchtigenden Vermächtnis durch privatschriftliche Erklärung zugestimmt und die vermachte Leibrente jahrzehntelang gezahlt hat, ohne Einwendungen gegen den Grund des Anspruchs zu erheben, kann gem. § 242 BGB daran gehindert sein, sich auf die Unwirksamkeit des Vermächtnisses zu berufen.
Normenkette
BGB §§ 2289, 242
Verfahrensgang
LG Wuppertal (Aktenzeichen 2 O 66/15) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 11.12.2015 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal teilweise abgeändert und neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 22.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.4.2015 sowie außergerichtliche Kosten in Höhe von 4.437,39 EUR zu zahlen. Wegen des weitergehenden Antrages auf Zahlung außergerichtlicher Kosten wird die Klage abgewiesen.
Auf die Widerklage hin wird festgestellt, dass die in dem zwischen dem am 6.7.1998 verstorbenen, zuletzt in S wohnhaft gewesenen Erblasser Herrn I.G. und der Klägerin am 11.11.1977 vor dem Notar T in S zu UR-Nr. ... abgeschlossenen Erbvertrag angeordneten Vermächtnisse zu Gunsten der Klägerin unwirksam sind mit der Maßgabe, dass sich der Beklagte nicht auf die Unwirksamkeit der Vermächtnisse berufen kann. Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen.
2. Auf die Anschlussberufung wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin weitere 82.500 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.6.2016 zu zahlen.
3. Dem Beklagten wird als Erbe die Beschränkung seiner Haftung auf den Nachlass des am 6.7.1998 verstorbenen Erblassers I.G. vorbehalten. Dieser Vorbehalt betrifft nicht die Kostenentscheidung.
4. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen hat der Beklagte zu tragen.
5. Dieses und das angegriffene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf eine Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
Der Erblasser hat der 1940 geborenen Klägerin in einem 1977 geschlossenen Erbvertrag eine lebenslange Leibrente vermacht. Der Beklagte, der 1971 durch Erbvertrag als Erbe eingesetzte Sohn des Erblassers, hat dem Erbvertrag durch privatschriftliche Erklärung zugestimmt und seit dem Erbfall im Jahr 1998 die Leibrente fortlaufend entrichtet. Anfang 2015 hat er die Zahlungen unter Berufung auf die Unwirksamkeit des Vermächtnisses eingestellt. Die Klage auf Weiterzahlung hatte Erfolg, die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe
Dieses Vermächtnis ist zwar gem. § 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam, wie das Landgericht auf die Widerklage rechtskräftig festgestellt hat; die Klägerin hat die Feststellung nicht mit der Berufung angegriffen. Der Beklagte kann sich aber auf die Beeinträchtigung seines Erbrechts aus dem nicht rechtzeitig angefochtenen Erbvertrag vom 21.10.1971 und damit auf den Schutz des §§ 2289 Abs. 1 Satz 2 BGB unter dem Gesichtspunkt des Arglisteinwandes (§ 242 BGB) nicht berufen. Die formlose Einwilligung des vertragsmäßig bedachten Erben in eine seine Rechte beeinträchtigende Verfügung von Todes wegen nimmt ihm nicht den Schutz des § 2289 BGB. Sie kann aber ausnahmsweise den Arglisteinwand begründen (BGH, Urteil vom 12.7.1989 - IVa ZR 174/88 -, BGHZ 108, 252; Musielak, Münchener Kommentar zum BGB, 7. Auflage 2017, § 2289 Rn 18).
Maßgebend ist die Fallgruppe des widersprüchlichen Verhaltens. Widersprüchliches Verhalten ist missbräuchlich, wenn der eine Teil mit seinem Verhalten einen Vertrauenstatbestand schafft und der andere Teil in Hinblick darauf bestimmte Dispositionen getroffen hat, etwa wenn die Vertragspartner eine rechtliche Regelung längere Zeit in einem bestimmten Sinn auslegen und wenn der andere Teil sich auf eine gleichbleibende Handhabung eingerichtet hat. So konnte sich ein Erbe wegen widersprüchlichen Verhaltens auf die Unwirksamkeit eines mit einem gemeinschaftlichen Testament unvereinbaren Erbvertrags nicht berufen, wenn er beim Abschluss des Erbvertrags mitgewirkt und die Bestimmung des Erblassers gebilligt hat (BGH, Urteil vom 28. April 1958 - III ZR 98/56 -, MDR 1958, 490).
Das gesamte Verhalten des Beklagten über Jahrzehnte zeigt, dass er von der Wirksamkeit des Erbvertrages ausging und bei der Klägerin einen entsprechenden Vertrauenstatbestand schuf. Beide Parteien erarbeiteten gemeinsam von 1978 bis 2013 über 35 Jahre eine durchgehende Vertrauensbasis, auf die sich die im Jahre 1940 geborene Klägerin zum Zeitpunkt der Zahlungseinstellung im Alter ...