Leitsatz (amtlich)
1. Zur Wirksamkeit eines formularmäßigen Verzichts des Absenders auf die Durchführung von Schnittstellenkontrollen durch den Frachtführer.
2. Zum Ausmaß des Mitverschuldens eines Absenders, der es unterlässt, den Frachtführer (Paketdienstunternehmen) auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen.
3. Zum Ausmaß des Mitverschuldens eines Absenders, der bei Abschluss des Frachtvertrages weiß, dass der Frachtführer keine Schnittstellenkontrollen durchführt.
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Urteil vom 24.11.2005; Aktenzeichen 31 O 45/05) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24.11.2005 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des LG Düsseldorf (31 O 45/05) teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 17.529,78 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.6.2005 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weiter gehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 23 % und die Beklagte zu 77 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
Die zulässige Berufung der Beklagten hat im zuerkannten Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
A. Das LG hat im Ausgangspunkt zu Recht dahin erkannt, dass die Beklagte wegen der hier in Rede stehenden Paketverluste der Klägerin vollen Schadensersatz leisten muss, ohne sich auf die in ihren Beförderungsbedingungen beziehungsweise im HGB vorgesehenen Haftungsbeschränkungen berufen zu können, weil sie die Warenverluste leichtfertig verursacht hat.
An dieser leichtfertigen Schadensverursachung vermag auch der Inhalt der zwischen der E.T. GmbH und der Beklagten am 31.10.2003/28.11.2003 getroffenen Vereinbarung nichts zu ändern. Zwar hat die E.T. GmbH in dieser Vereinbarung darauf verzichtet, dass die Beklagte während der Beförderung Schnittstellen kontrolliert, weil sie sich damit einverstanden erklärt hat, dass Eingangs- und Ausgangskontrollen nicht durchgeführt werden. Dies führt jedoch entgegen der Ansicht der Beklagten nicht dazu, dass sie aufgrund der Frachtverträge, die den Schadensfällen 5 bis 9 zugrunde lagen, tatsächlich keine Schnittstellenkontrollen mehr schuldete, weil diese Vereinbarung vom 31.10.2003 aus Rechtsgründen unwirksam ist.
Mangels gegenteiligen substantiierten Vortrags der Beklagten muss der Senat davon ausgehen, dass der Inhalt dieser Vereinbarung von der Beklagten für eine Vielzahl von Kunden vorformuliert worden ist, so dass es sich bei diesem Schnittstellenkontrollverzicht um eine allgemeine Geschäftsbedingung handelt. Deswegen ist diese Vereinbarung sowohl gem. §§ 305 ff. BGB als auch gem. § 449 Abs. 2 HGB unwirksam.
Wenn keine Schnittstellenkontrollen mehr geschuldet sein sollen, entbindet die Klausel die Beklagte von ihrer aus der Obhutspflicht für das Frachtgut abgeleiteten Kardinalpflicht, das Transportgut während des Transports ständig unter Kontrolle zu halten. Eine Klausel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen, die den Frachtführer von dieser Kardinalpflicht entbindet, benachteiligt den Versender entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen, weil eine gravierende Abweichung vom gesetzlichen Leitbild des Frachtvertrages vorliegt. Darüber hinaus handelt es sich bei dieser Absprache in der Sache um eine weitgehende Freizeichnung von der gesetzlich vorgeschriebenen Haftung des Frachtführers für den Verlust des Transportgutes, was nach § 449 Abs. 2 HGB nicht wirksam durch allgemeine Geschäftsbedingungen vereinbart werden kann.
Weil es somit dabei verbleibt, dass die Beklagte auch in den Schadensfällen 5-9 die Warenverluste leichtfertig verursacht hat, kann wegen der dreijährigen Verjährungsfrist auch die Einrede der Verjährung nicht durchgreifen.
B. Die Berufung bleibt auch ohne Erfolg, soweit die Beklagte in der Berufungsinstanz weiterhin bestreitet, dass die verloren gegangenen Pakete den von der Klägerin behaupteten Inhalt hatten.
In den Schadensfällen 1-4 und 6-8 besteht aufgrund der Rechnungen und Lieferscheine ein Anscheinsbeweis für den von der Klägerin behaupteten Paketinhalt. Der von der Beklagten geforderte Bezug zwischen diesen Versanddokumenten und den Übernahmequittungen ist nach der Rechtsprechung des BGH zur Begründung des Anscheinsbeweises nicht erforderlich.
Im Schadensfall 5 besteht aufgrund der Rechnung und des Lieferscheins nur ein Anscheinsbeweis dahin, dass die in diesen Dokumenten aufgeführten Waren sich in den beiden Paketen befunden haben. Demgegenüber besteht aufgrund dieser Dokumente kein Anscheinsbeweis hinsichtlich der Aufteilung der gesamten Warensendung auf die beiden Pakete.
Aufgrund der Gesamtumstände lässt sich im Schadensfall 5 jedoch mit der für eine Schadensschätzung nach § 287 ZPO erforderlichen Genauigkeit die Verteilung der Warensendung auf die beiden Pakete ermitteln. Das verloren gegangene Paket wog ausweislich der EDI-Versandliste 24 kg, das zugestellte Paket wog 9 kg. Die Gesamtlieferung bestand aus 44 Hand...