Entscheidungsstichwort (Thema)

Gemeinsame Betriebsstätte nach § 106 Abs. 3 S. 3 SGB VII

 

Normenkette

SGB VII § 106 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Urteil vom 12.05.2021; Aktenzeichen 4 O 156/20)

 

Tenor

Auf den Hinweis wurde die Berufung zurückgenommen.

In dem Rechtsstreit

...

 

Gründe

wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 12.5.2021 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Nach Vornahme der gemäß § 522 Abs. 1 und 2 ZPO gebotenen Prüfung ist der Senat einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und auch eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Die Sache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats durch Urteil.

Es ist berufungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Klage abgewiesen hat, weil sich der streitgegenständliche Unfall auf einer gemeinsamen Betriebsstätte im Sinne des § 106 Abs. 3 Satz 3 SGB VII ereignet hat. Die von der Klägerin mit der Berufung vorgebrachten Argumente gegen die Annahme einer gemeinsamen Betriebsstätte überzeugen nicht.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der sich der Senat vollumfänglich anschließt, fallen unter den Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Demgegenüber erfüllt das bloße Zusammentreffen von Risikosphären mehrerer Unternehmen den Tatbestand der Norm nicht. Parallele Tätigkeiten, die sich beziehungslos nebeneinander vollziehen, genügen ebenso wenig wie eine bloße Arbeitsberührung. Erforderlich ist vielmehr eine gewisse Verbindung zwischen den Tätigkeiten als solchen in der konkreten Unfallsituation. Der Haftungsausschluss nach § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII ist (nur) im Hinblick auf die zwischen den Tätigen verschiedener Unternehmen bestehende Gefahrengemeinschaft gerechtfertigt, wobei eine solche dadurch gekennzeichnet ist, dass typischerweise jeder der (in enger Berührung miteinander) Tätigen gleichermaßen zum Schädiger und Geschädigten werden kann (BGH, Urt. v. 23.9.2014, VI ZR 483/12, juris Rn. 18 m. zahlreichen weiteren Nachweisen).

Die Klägerin meint nun, ein derartiges tätigkeitsbezogen-funktionales, bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf durch ineinandergreifende, sich ergänzende oder unterstützende Aktivitäten habe im Streitfall nicht vorgelegen, weil der Geschädigte nicht in den konkreten Beladevorgang des Lkw eingebunden gewesen sei, sondern - in Gestalt des Scannens der zu verladenden Ware - lediglich eine bloße Vorbereitungshandlung vorgenommen habe, die dem Beladevorgang vorgelagert gewesen sei. Das Landgericht habe den Anwendungsbereich des Merkmals des koordinierten Zusammenwirkens unzulässig ausgeweitet, indem es jede Tätigkeit einbeziehe, die ein Verladen nur ermögliche. Die Beteiligten seien sich vorliegend nicht ablaufbedingt, sondern aus bloßer Unachtsamkeit des Beklagten zu 2) in die Quere gekommen. Der Beklagte zu 2) hätte sich einfach nur vergewissern müssen, wie weit der Scan-Vorgang des Lkw-Fahrers gediehen sei und ob sich dieser in einem als ausreichend zu erachtenden Abstand zu der zu verladenden Fracht befinde. Es habe sich mithin lediglich um parallele Tätigkeiten in räumlicher Nähe gehandelt. Eine Absprache über das Tätigwerden der Beteiligten habe es auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht gegeben. Es habe auch keine Gefahrengemeinschaft bestanden, weil nicht erkennbar sei, wie der Geschädigte den Beklagten zu 2) hätte schädigen können.

Dieser Argumentation vermag der Senat nicht zu folgen. Zwar haben der Beklagte zu 2) und der Geschädigte nicht bei dem eigentlichen Beladevorgang zusammengearbeitet. Ihre Tätigkeiten standen sich jedoch auch nicht beziehungslos nebeneinander, sondern der Geschädigte hat durch die Überprüfung und das Scannen der Ware erst die Voraussetzung für das Beladen geschaffen, denn der ordnungsgemäße Umschlag von Gütern setzt regelmäßig - und so auch hier - die Durchführung von Schnittstellenkontrollen voraus (vgl. MüKoHGB/Thume, 5. A. 2023, § 435 Rn. 22 ff. m.w.N.). Dass der Geschädigte die Ware nicht - was auch denkbar gewesen wäre - nach dem Beladen auf dem beladenen Lkw erfasst, sondern die Kontrolle vor dem Beladen im Ladebereich durchgeführt hat, beruhte nach dem übereinstimmenden Parteivortrag zwar nicht auf einer ausdrücklichen Absprache der Beteiligten. Es lag aber jedenfalls eine stillschweigende Verständigung der Beteiligten du...

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