Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein kinderschutzrechtliches Verfahren wegen Verpflichtung eines Schulkindes zum Tragen einer Maske zur Bekämpung der Corona-Pandemie
Leitsatz (amtlich)
1. Das Familiengericht kann davon absehen, ein Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls einzuleiten, wenn weder konkrete noch gewichtige Anhaltspunkte eine Kindeswohlgefährdung möglich erscheinen lassen und die Einleitung eines Verfahrens sowie die Aufnahme weiterer Ermittlungen nicht geboten sind.
2. Ein "Antrag" der Eltern auf Erlass kinderschutzrechlicher Maßnahmen wegen der dem Kind zum Zwecke der Bekämpfung der Corona-Pandemie auferlegten Verpflichtungen eine Maske zu tragen, Abstand zu anderen Schülern zu halten sowie gesundheitliche Testverfahren durchzuführen, verlangt nicht nach der Einleitung eines kinderschutzrechtlichen Verfahrens durch das Familiengericht.
3. Ein Beschluss des Familiengerichts, ein von den Eltern angeregtes Kinderschutzverfahren nicht einzuleiten, kann von den Eltern mit dem Rechtsmittel der Beschwerde angefochten werden.
4. Eine Verweisung an die Verwaltungsgerichtsbarkeit hat durch das Familiengericht nicht zu erfolgen, wenn es zutreffend bereits von der Begründungs eines Verfahrensrechtsverhältnisses abgesehen hat.
Tenor
Die erstinstanzlichen Daten werden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht mitgeteilt.
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Beschwerdeführer haben die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
III. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 4.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beschwerdeführer sind Eltern der am XX.XX.2010 geborenen X.
Mit Schreiben vom 13.04.2021 regten sie beim Amtsgericht -Familiengericht- Stadt1 an, ein Verfahren nach § 1666 Abs. 1 BGB einzuleiten. Das Wohl ihrer Tochter sei derzeit nachhaltig gefährdet, weil sie verpflichtet ist, in der Schule eine Maske zu tragen, Abstand zu anderen Schülern zu halten sowie gesundheitliche Testverfahren durchzuführen. Aufgrund dieser Maßnahmen würde ihn ihre Grund- und Freiheitsrechte eingegriffen sowie internationale Konventionen verletzt. Die Eltern regen an, die benannten infektionshygienischen Maßnahmen auszusetzen, die Rechtmäßigkeit der CoronaVV HE 2 2020b zu überprüfen sowie eine Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des Infektionsschutzgesetzes einzuholen.
Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 14.04.2021 die Einleitung eines Verfahrens abgelehnt. Zur Begründung führte es aus, eine Gefährdung des Kindeswohls sei nicht erkennbar. Darüber hinaus sei das Familiengericht nicht befugt, Entscheidungen der Legislative oder Exekutive zu überprüfen.
Hiergegen richtet sich die von den Eltern am 05.05.2021 erhobene Beschwerde, mit der sie einwenden, dass das Familiengericht nach pflichtgemäßen Ermessen hätte entscheiden müssen, ob Vorermittlungen einzuleiten sind.
II. Die nach §§ 58 ff. FamFG zulässige, insbesondere statthafte Beschwerde, hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Gegen den Beschluss des Familiengerichts ist vorliegend die Beschwerde eröffnet. Die Mitteilung des Amtsgerichts nach § 24 Abs. 2 FamFG, ein Verfahren nicht einzuleiten, stellt zwar regelmäßig keine rechtsmittelfähige Entscheidung dar (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2015, 1991; Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl., § 24 Rn. 9; MüKo/Ulrici, FamFG, 3. Aufl., § 24 FamFG 13). Wird jedoch durch die Verweigerung von Amts wegen zu treffender Maßnahmen in subjektive Rechte des Anregenden eingegriffen, ist eine Beschwerde gegen die ablehnende Entscheidung eröffnet (Lies-Benachib NZFam 2021, 448, 449; vgl. zur Einleitung eines Umgangsverfahrens: OLG Frankfurt BeckRS 2020, 32411; OLG Frankfurt FamRZ 2015, 1991; Keidel/Sternal, FamFG, 20. Aufl. 2020, § 24 FamFG Rn. 9).
Letztere Voraussetzung ist vorliegend erfüllt und daher ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung des Familiengerichts eröffnet. Die Eltern werden durch die Ablehnung des Amtsgerichts, ein Kinderschutzverfahren einzuleiten, in ihrem subjektiven Recht auf Ausübung der uneingeschränkten Personensorge beeinträchtigt, da hiermit aus ihrer Sicht kinderschutzrechtliche Maßnahmen des Familiengerichts zur Abwendung einer ihrer Tochter drohenden Gefährdung unterbleiben.
2. Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet. Das Familiengericht hat zu Recht davon abgesehen, ein Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls von X einzuleiten.
Amtsverfahren werden nach §§ 24 Abs. 1, 26 FamFG durch eigenständige Entschließung des zuständigen Gerichts von Amts wegen eingeleitet. Im vorliegenden kindschaftsrechtlichen Verfahren ist daher zu klären, ob die Einleitungsschwelle für ein Verfahren nach § 1666 Abs. 1 BGB erreicht ist. Dabei obliegt es der verantwortlichen Beurteilung des Familiengerichts, ob konkrete, gewichtige Anhaltspunkte eine Kindesgefährdung möglich erscheinen lassen und die Einleitung eines Verfahrens sowie die Aufnahme weiterer Ermittlungen erfordern (Staudinger/Coester, BGB, 2020, § 1666 Rn. 261; OLG Karlsruhe, Beschluss v. 28.04.201, Az. 20 WF 70/21; vgl. auch OVG Lüneburg, Beschluss v. 18.05.2021, Az. 13...