Leitsatz (amtlich)
1.
Zuständig für die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit (der Anordnung und Durchführung) von Ermittlungsmaßnahmen mit tiefgreifendem Grundrechtseingriff, gegen deren Anordnung der Beschuldigte typischer Weise vor ihrer Vollziehung keinen Rechtsschutz erlangen kann - hier die Anordnung der längerfristigen Observation (§ 163 f StPO) und der Telefonüberwachung (§ 100 a StPO) - ist grundsätzlich das anordnende Gericht.
2.
Nach Erhebung der Anklage geht die Zuständigkeit auf das erkennende Gericht über. Es hat sowohl die gerichtliche Überprüfung von den Ermittlungsbehörden angeordneter Maßnahmen gem. § 98 II StPO analog vorzunehmen, als auch die Rechtswidrigkeit der vom Ermittlungsrichter angeordneten Maßnahmen festzustellen.
3.
Art. 19 IV GG fordert nicht sofortigen Rechtsschutz, sondern nur Rechtsschutz in angemessener Zeit. Von daher sind verfassungsrechtliche Hindernisse, die Entscheidung der Kammer erst in zeitlicher Nähe zur Urteilsfällung zu erlassen, nicht zu erkennen.
4.
Gegen die Entscheidung des erkennenden Gerichts ist die Beschwerde nach § 304 StPO eröffnet. Fehlt es an einer Sachentscheidung des erkennenden Gerichts, weil dieses seine Zuständigkeit zu Unrecht verneint hat, so kann das ihm übergeordnete Beschwerdegericht die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverweisen.
5.
Die Entscheidung des Beschwerdegerichts lässt die Frage der Verwertbarkeit der Ergebnisse aus den Ermittlungsverfahren unberührt. Hierüber entscheiden allein das erkennende Gericht und gegebenenfalls die Revisionsinstanz.
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 5-31 KLs 11/05 5250 Js 227836/04 H) |
Gründe
Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main ordnete am 26.1.2005 "gem. § 163f I StPO für vier Wochen die Observation der Beschuldigten und ihrer Kontaktpersonen an". Ferner verfügte der Ermittlungsrichter beim Amtsgericht Frankfurt am Main gem. §§ 100a, 100b, 100g und 100 h StPO die Überwachung von Telefonanschlüssen, die teils vom Angeklagten A, teils vom Mitangeklagten B genutzt wurden.
Die am 27.4.2005 erhobene und am 21.7.2005 zugelassene Anklage wird derzeit vor der 31. großen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main verhandelt. Bei dieser Kammer beantragte der Angeklagte A über seine Verteidigerin im Termin vom 15.9.2005 festzustellen, dass die vorbezeichnete Anordnung der Staatsanwaltschaft vom 26.1.2005 und die vorgenannten Anordnungen des Ermittlungsrichters vom 3.8.2004, 20.1.2005, 24.1.2005 und 26.1.2005 rechtswidrig seien; zugleich widersprach er der Verwertung der aus der längerfristigen Observation und Telefonüberwachung gewonnen Erkenntnisse.
Mit den angefochtenen Beschlüssen wies die Kammer die Feststellungsbegehren zurück. Der gegen die Anordnung der Observation gerichtete Antrag sei unzulässig, soweit er sich gegen Maßnahmen wende, durch die ausschließlich der Mitangeklagten B betroffen sei. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet, weil die Observation des Angeklagten A rechtmäßig angeordnet worden sei.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seinen Beschwerden.
A)
Die Beschwerden sind zulässig.
§ 305 S. 1 StPO steht ihrer Zulässigkeit nicht entgegen. Es kann dahinstehen, ob dies bereits aus § 305 S. 2 StPO bzw. aus dem Umstand folgt (in diese Richtung BVerfG, NJW 2005, 1855, 1856 f.), dass das Hauptverfahren nur der Feststellung von Tat und Schuld dient, die vorliegenden Beschwerdeverfahren hingegen der Überprüfung der mit der Anordnung der längerfristigen Observation und der Telefonüberwachung verbundenen Grundrechtseingriffen ("Trennungsprinzip"). Jedenfalls gilt der Ausschluss der Beschwerde gem. § 305 S. 1 StPO nur für Entscheidungen, die nicht nur im inneren Zusammenhang mit der Urteilsfällung stehen, sondern auch bei der Urteilsfällung selbst und damit auf entsprechende Rüge auch in der Revision der nochmaligen Überprüfung unterliegen (inzwischen allgemeine Meinung, vgl. nur Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 305 Rn 1 mzRsprN). An letzterem mangelt es jedenfalls. Überprüft wird im Hauptverfahren und in der Revisionsinstanz lediglich, ob die aus den Ermittlungsmaßnahmen gewonnenen Erkenntnisse einem Verwertungsverbot unterliegen. Nicht jeder zur Rechtswidrigkeit der Anordnungen führender Mangel zieht indes ein Verwertungsverbot nach sich. Das gilt sowohl für die aus der längerfristigen Observation gewonnen Erkenntnisse, als auch für diejenigen aus der Telefonüberwachung stammenden Ergebnisse (vgl. Schoreit/Wache, in: KK-StPO, 5. Aufl., § 163 f Rn 35, Nack, in: KK-StPO, § 100a Rn 37; Meyer-Goßner, § § 100a Rn 21 -jew. mzRsprN).
§ 310 II StPO steht der Zulässigkeit der Rechtsmittel ebenfalls nicht entgegen. Für die die Observation betreffende Entscheidung der Kammer folgt dies schon daraus, dass es sich um eine erstmalige richterliche Entscheidung handelt. Für die Entscheidung der Kammer, welche die Telefonüberwachungsmaßnahmen zum Gegenstand hat, resultiert die Zulässigkeit daraus, dass - wie noch ausführen sein wird - keine Beschwerde- sondern eine ...