Entscheidungsstichwort (Thema)
Beurteilung der Kindeswohlgefährdung bei Rückführung eines kurz nach der Geburt in Obhut genommenen Kindes nur mit psychologischem Gutachten
Leitsatz (amtlich)
1. Pflegepersonen im Sinne des § 161 FamFG sind jedenfalls berechtigt, Beschwerde gegen eine Entscheidung des Familiengerichts einzulegen, in der auch ihr Antrag auf Erlass einer Verbleibensanordnung nach § 1632 Abs. 4 FamFG zurückgewiesen worden ist.
2. Für die Prüfung der Frage, ob die Rückführung eines Kindes, das bereits kurz nach der Geburt in Obhut genommen war, zu seinen Herkunftseltern im Hinblick auf entstandene Bindungen zu seinen Pflegeeltern zu einer Kindeswohlgefährdung führt, bedarf es regelmäßig im Rahmen der Amtsermittlung der Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens. Dies gilt umso mehr, wenn das im Verfahren beteiligte Jugendamt und der Verfahrensbeistand sich gegen die Kindesrückführung aussprechen.
3. Die unterbliebene Sachaufklärung stellt in diesen Fällen einen schweren Verfahrensfehler im Sinne des § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG dar, der auf Antrag zur Aufhebung der Entscheidung und Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht führen kann.
Normenkette
BGB § 1632 Abs. 4, §§ 1666, 1666a; FamFG §§ 26, 59, 69 Abs. 1 S. 3
Tenor
Auf die Beschwerden der Beteiligten zu 3, 4 und 8 wird der angefochtene Beschluss aufgehoben und die Sache an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt dem Amtsgericht.
Der Beschwerdewert wird auf 8.000,00 EUR festgesetzt.
Den Beteiligten zu 5) und 6) wird Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwalt A bewilligt.
Gründe
I. Das betroffene Kind B, geb. am XX.XX.2020, ist die zweite Tochter der nicht miteinander verheirateten Kindeseltern, den Beteiligten zu 5) und 6). Sie verfügten ursprünglich über das gemeinsame Sorgerecht.
Ihre ältere Schwester C, geb. am XX.XX.2018, war bereits unmittelbar nach ihrer Geburt erstmals in Obhut genommen worden, dann im Juni 2018 zunächst zu den Eltern zurückgeführt worden, bis sie am 29.04.2019 erneut in Obhut genommen worden war. Mit Beschluss vom 17.02.2020 hat das Amtsgericht Stadt1 im Verfahren ... den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und dass Recht der Antragstellung bei Ämtern und Behörden für ihr Kind C entzogen und Amtspflegschaft angeordnet. Im Rahmen des damaligen Hauptsacheverfahrens betreffend C hatte das Amtsgericht ein Sachverständigengutachten eingeholt, das zum Ergebnis kam, dass C bei einem Verbleib bei den Kindeseltern in ihrem Wohl gefährdet sei und dass die Erziehungsfähigkeit beider Eltern erheblich eingeschränkt sei. Dabei soll es auch zum Teil zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen den Eltern gekommen sein, der in einem Fall zu einem Verkehrsunfall führte, als die Mutter dem Vater ins Lenkrad griff. Im Raum stand auch eine psychische Erkrankung der Kindesmutter auf Grund einer posttraumatischen Belastungsstörung und/oder einer angehenden Borderline-Erkrankung. C lebt bis heute in einer Pflegefamilie.
B wurde bereits wenige Tage nach ihrer Geburt gegen den Willen der Eltern in Obhut genommen.
Mit Beschluss vom 31.01.2021 hat das Amtsgericht Stadt1 unter dem Aktenzeichen ... den Eltern das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Antragstellung bei Ämtern und Behörden vorläufig entzogen und das Jugendamt des Landkreises Stadt1-Stadt2 zum Ergänzungspfleger bestellt. Mit Beschluss vom 26.03.2020 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main den vorläufigen Entzug von Teilen des Sorgerechts bestätigt und die Beschwerde der Eltern zurückgewiesen (...).
Am XX.XX.2020 kam das dritte Kind der Eltern D zur Welt und lebt seit seiner Geburt bei den Eltern.
B lebt seit ihrer Inobhutnahme im Haushalt der Beteiligten zu 3) und 4), die zunächst als Bereitschaftspflegepersonen tätig waren.
In einem an das hiesige Jugendamt gerichteten Schreiben vom 08.06.2021 teilte das - für den Wohnsitz der Eltern zuständige - Jugendamt Kreis E mit, dass sich die Beziehung zwischen den Kindeseltern und ihrem jüngsten Sohn D liebevoll gestalte und das Kindeswohl zu keinem Zeitpunkt gefährdet gewesen sei. Die Kindeseltern würden sich gut auf die gewährte Familienhilfe einlassen und aus Sicht des dortigen Jugendamtes seien die Kindeseltern auch dazu in der Lage, sich um ein zweites Kind, auch mit einem besonderen Bedarf, im häuslichen Rahmen zu kümmern.
Mit Beschluss vom 22.06.2021 wies das Amtsgericht den Antrag der Beteiligten zu 3) und 4), als Pflegeeltern zum Verfahren hinzugezogen zu werden, (zunächst) zurück, da es davon ausging, dass es im hiesigen Verfahren nicht um den Verbleib bei den derzeitigen Bereitschaftspflegeeltern, sondern um die Rückführung zu den Kindeseltern oder um den Wechsel in eine Dauerpflegefamilie gehe.
Das hiesige Jugendamt teilte im Termin vom 11.06.2021 zunächst mit, dass man sich der Einschätzung des Jugendamtes Kre...