Entscheidungsstichwort (Thema)
Zu den Voraussetzungen der Anordnung des Verbleibs des Kindes bei den Pflegeeltern
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der nach § 1632 Abs. 4 BGB zu stellenden Prognose, ob eine Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern bei gleichzeitiger Rückkehr zu den sorgeberechtigten Eltern eine Gefährdung des Kindeswohls darstellt, sind sowohl krankheitsbedingte Beeinträchtigungen des Kindes (hier Erkrankung am sog. Russel-Silver-Syndrom) als auch Einschränkungen der Eltern in der Erziehungsfähigkeit von Bedeutung.
2. Verbleibensanordnungen nach § 1632 Abs. 4 BGB können auch ohne zeitliche Einschränkungen ergehen. Sie stellen kindesschutzrechtliche Maßnahmen i.S.d. § 1696 Abs. 2 BGB dar und sind auf Antrag oder von Amts wegen abzuändern. Auch bedürfen sie nach § 166 Abs. 2 FamFG der amtswegigen Überprüfung in angemessenen Abständen.
Normenkette
BGB § 1632 Abs. 4, § 1696 Abs. 2; FamFG § 166 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Gießen (Beschluss vom 28.08.2013; Aktenzeichen 248 F 2478/12 SO) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Der Verbleib des minderjährigen Kindes A, geboren am ... 2011, bei den Beteiligten zu 3 und 4 wird angeordnet.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Beschwerdewert: 3.000,- EUR.
Gründe
Das minderjährige Kind A wurde am ... 2011 geboren und ist der Sohn der nicht miteinander verheirateten Beteiligten zu 1) und 2), welche gemeinsam über das Sorgerecht des Kindes verfügen. A wurde bereits in der 29. Schwangerschaftswoche geboren und befand sich angesichts seines geringen Gewichts für die Dauer der ersten sechs Monate seines Lebens in stationärer ärztlicher Behandlung. Zunächst nicht erkannt wurde, dass A am sog. X-Syndrom leidet. Nach der Entlassung aus der Klinik wurde er im elterlichen Haushalt aufgenommen. Den Eltern gelang es aber nicht, die Probleme des Kindes bei der Nahrungsaufnahme und sein geringes Gewicht in den Griff zu bekommen, obwohl seitens der Klinik ein Kinderpflegedienst und eine Nachsorgehebamme zur Verfügung gestellt wurde. Am 24.12.2012 kam es zu einer erneuten stationären Aufnahme des Kindes aufgrund seines sehr niedrigen Gewichts. Am 1.3.2012 wurde die zuständige Mitarbeiterin des Jugendamtes von der Klinik1 O1, in der sich A befand, darüber informiert, dass die Kindesmutter die weitere Behandlung des Kindes ablehne und das Kind gegen den ärztlichen Rat wieder mit in den elterlichen Haushalt nehmen wolle. Es gelang jedoch, die Kindesmutter von einem weiteren stationären Aufenthalt des Kindes zu überzeugen. Es wurde nunmehr bei A eine Gedeihstörung sowie eine sensomotorische Entwicklungsverzögerung festgestellt. Da er sich gleichzeitig eine Infektion zuzog, wurde er zunächst vom 7.3. bis 31.3.2012 wieder in den elterlichen Haushalt zurückgeführt. Ab dem 15.3.2012 wurde den Kindeseltern eine Erziehungshilfe in einem Umfang von acht Stunden pro Woche in Kombination mit einer Hebamme und einer pädagogischen Fachkraft gewährt. Zu weiteren stationären Aufenthalten kam es Ende März 2012 und am 23.5.2012. Mit Schreiben vom 30.5.2012 empfahlen die verantwortlichen Ärzte der Klinik1 O1 wegen der weiterhin stark ausgeprägten Dystrophie eine erneute stationäre Aufnahme und die Etablierung des Kindes in einer Pflegefamilie. Ein entsprechender Antrag nach § 33 SGB VIII wurde von den Kindeseltern gestellt. Am 4.6.2012 kam es zu einer Aufnahme des Kindes in einer Bereitschaftspflegefamilie. Am 15.6.2012 kam es erneut zu einem stationären Aufenthalt von A in Klinik2 in O2, gemeinsam mit seiner Mutter. Am 16.8.2012 konnte A, nachdem er von der zuvor eingesetzte Ernährungssonde entwöhnt werden konnte, wieder in den elterlichen Haushalt zurückkehren, wobei erneut Erziehungshilfen gewährt wurden. Am 5.11.2012 kam es zu einer erneuten stationären Aufnahme von A in der Klinik1 O1 aufgrund seines weiterhin geringen Gewichts. In der Kinderklinik ging man nun bereits aufgrund des klinischen Befundes von einem X-Syndrom aus.
Am 20.11.2012 rief das Jugendamt des Landkreises O1 das AG - Familiengericht - Gießen gem. § 8a SGB VIII an und regte die Einleitung eines Verfahrens nach § 1666 BGB an, da nach Auffassung des Jugendamtes die Kindeseltern A keine hinreichende Unterstützung, vor allem im gesundheitlichen Bereich, gewähren könnten. Den Antrag auf Hilfe zur Erziehung in voll stationärer Form zogen die Kindeseltern am 27.11.2012 zurück. Daraufhin nahm das zuständige Jugendamt das Kind in Obhut. Mit Beschluss vom 28.11.2012 entzog das AG Gießen (AZ.: 248 F 2508/12) den Kindeseltern im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitsfürsorge und bestellte das Jugendamt des Landkreises O1 als Ergänzungspfleger. Mit einem Entlassungsgewicht von 6.650 Gramm wurde A am 29.11.2012 entlassen. Am 29.11.2012 wurde A im Rahmen einer Maßnahme nach § 33 SGB VIII bei den Beteiligten zu 3 und 4) in Pflege gegeben. Die Beteiligten zu 3 und 4 leben seit 2005 im Rahmen einer gleichgeschlechtlichen Lebensbeziehung und...