Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindesunterhalt: Pflicht eines Volljährigen zum Einsatz seines Vermögens zu Unterhaltszwecken
Leitsatz (amtlich)
Zur Verpflichtung des Volljährigen, sein Vermögen zu Unterhaltszwecken einzusetzen.
Normenkette
BGB § 1602 Abs. 2, § 1577 Abs. 3
Verfahrensgang
AG Gießen (Beschluss vom 11.04.2006; Aktenzeichen 27 F 1435/05 UK) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für einen Unterhaltsrückstand für die Zeit von Juli 2005 bis einschließlich Oktober 2005 i.H.v. 2224 EUR und für die Zeit ab November 2005 i.H.v. monatlich 846 EUR bewilligt.
Gründe
Das AG hat mit dem angefochtenen Beschluss der Klägerin Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit sie für die Zeit von Juli 2005 bis einschließlich Oktober 2005 Unterhaltsrückstände i.H.v. insgesamt 500 EUR und für die Zeit ab November 2005 monatliche Unterhaltsleistungen i.H.v. 415 EUR geltend macht. Im Übrigen hat das AG der Klägerin die Prozesskostenhilfe verweigert. Bei der Berechnung des Unterhalts-Anteils des Beklagten hat das AG die Klägerin für verpflichtet gesehen, ihr Sparguthaben i.H.v. circa 12.000 EUR (Stand Juli 2005) für ihren Unterhaltsbedarf so einzusetzen, dass sie monatlich 562,50 EUR entnimmt. Unstreitig stammt dieses Vermögen etwa zur Hälfte aus einer Zuwendung der Großmutter und im Übrigen aus der Veräußerung eines Kraftfahrzeugs, welches die Klägerin vor Aufnahme ihrer Ausbildung im September 2004 an der ...-Akademie besaß. Wegen des Inhalts des angefochtenen Beschlusses im Übrigen wird auf ihn Bezug genommen.
Mit ihrer Beschwerde berücksichtigt die Klägerin die geänderte Rechtsprechung des BGH zur Anrechnung des Kindergeldes auf den Bedarf. Sie weist daraufhin, dass sie über kein eigenes Vermögen mehr verfüge. Zur Verwertung ihres Vermögens hält sie sich nicht verpflichtet. Unter Berücksichtigung einer anteiligen Unterhaltsverpflichtung der Mutter belaufe sich ihr Bedarf noch auf 846 EUR monatlich.
Die Beschwerde hat Erfolg. Der Klägerin war Prozesskostenhilfe für einen Unterhaltsrückstand für die Zeit von Juli 2005 bis einschließlich Oktober 2005 i.H.v. 2224 EUR und für die Zeit ab November 2005 i.H.v. monatlich 846 EUR zu bewilligen.
Das AG hat den Bedarf der Klägerin mit 1269 EUR pro Monat zutreffend festgestellt. Es besteht auch ein Anspruch auf Ausbildungsunterhalt, schon allein deswegen, weil die Eltern mit der Durchführung des Studiums an der ...-Akademie einverstanden waren und deswegen im Verhältnis ihrer Einkünfte für die Kosten des Studiums aufkommen müssen. Die Frage aber, ob die Klägerin verpflichtet ist, ihr Vermögen ganz oder teilweise zu ihrem Unterhalt einzusetzen, nachdem ihre Eltern mit der Aufnahme des Studiums einverstanden waren, bedarf nach Maßgabe der nachstehend dargestellten Rechtsprechung des BGH einer umfassenden Gesamtabwägung, für die sich das Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren naturgemäß nicht eignet. Neben der Frage der Zubilligung eines Notgroschens und dessen Höhe stellt sich die Frage der Zumutbarkeit des Einsatzes des durch die Veräußerung ihres Kraftfahrzeugs erworbenen Vermögens angesichts guter Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern. Schließlich bedarf es der Aufklärung, ob das von der Großmutter überlassene Vermögen der Finanzierung der Ausbildung dienen sollte oder ob es sich um eine Schenkung an das Enkelkind handelt, welche die Eltern von ihrer Unterhaltsverpflichtung nicht entlasten sollte. Es ist nicht ausgeschlossen, dass bei dieser Gesamtabwägung die Verwertung des Vermögensstammes für den Ausbildungsunterhalt ausscheidet. Dann ergibt sich ein Anspruch in der Größenordnung, die in die Klägerin in ihrer Beschwerdeschrift errechnet hat. Der BGH (BGH v. 5.11.1997 - XII ZR 20/96, MDR 1998, 225 m. Anm. Hartung = FamRZ 1998, 367-370) hat zu der Verpflichtung des Volljährigen, sein Vermögen einzusetzen, folgendes ausgeführt:
"Bei der Frage, inwieweit ein volljähriges Kind für seinen Unterhalt den Stamm seines Vermögens angreifen muss (Umkehrschluss aus § 1602 Abs. 2 BGB), scheint das OLG einer entsprechenden Anwendung des § 1577 Abs. 3 BGB zuzuneigen, einer Vorschrift aus dem Bereich des nach-ehelichen Unterhalts. Vor der Schaffung der Norm durch das 1. EheRG hat der BGH entschieden, dass das Vorhandensein von Vermögen eines volljährigen Kindes zwar dem Grundsatz nach die Bedürftigkeit ausschließt, dass aber die Vermögensverwertung im Einzelfall unzumutbar sein kann, insb. im Falle der Unwirtschaftlichkeit, auf die nunmehr auch § 1577 Abs. 3 BGB abstellt (vgl. Urteile v. 5.12.1956 - IV ZR 215/56, FamRZ 1957, 120 und vom 9.11.1965 - VI ZR 260/63, FamRZ 1966, 28, 29). In Bezug auf den Obliegenheitsmaßstab des Unterhaltsverpflichteten hat der Senat bereits ausgesprochen, dass das Gesetz im Bereich des Verwandtenunterhalts eine allgemeine Billigkeitsgrenze wie beim nachehelichen Unterhalt nicht vorsehe (Urt. v. 23.10.1985 - IVb ZR 52/84 - FamRZ 1986, 48, 50). Die Grenze der Unzumutbarkeit wird daher etwas enger als bei § 1577 Abs. 3 BGB zu ...