Leitsatz (amtlich)
1. Wird das für die Bestellung eines Betreuers notwendige Gutachten erst im Beschwerdeverfahren eingeholt, so kann das LG nicht auf die persönliche Anhörung des Betroffenen verzichten. Das Gutachten und die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten sind dem Betroffenen zur Gewährung des rechtlichen Gehörs grundsätzlich vollständig und in schriftlicher Form rechtzeitig vor der Anhörung bekannt zu geben. Die Bestellung eines Verfahrenspflegers entbindet nicht von der Verpflichtung zur Vornahme dieser Verfahrenshandlungen.
2. Der Vormundschaftsrichter hat eigene Feststellungen zu Umfang und Erforderlichkeit einer Betreuung zu treffen.
Normenkette
BGB § 1896; FGG §§ 68, 68b, 69g
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Aktenzeichen 5 T 216/07) |
Gründe
I. Auf Anregung der Betreuungsbehörde und nach Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses des Hausarztes bestellte die Amtsrichterin nach persönlicher Anhörung des Betroffenen diesem die eingangs aufgeführte Berufsbetreuerin für die Aufgabenkreise der Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die Unterbringung, Wohnungsangelegenheiten sowie Vertretung gegenüber Behörden, Krankenkassen, Versicherung und sonstigen Institutionen.
Hiergegen wendete sich der Betroffene mit der Beschwerde, mit der er geltend machte, eine Betreuung nicht zu benötigen. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und Bestellung eines Verfahrenspflegers hob das LG mit Beschluss vom 8.7.2007 die Betreuung für den Aufgabenkreis "Entscheidung über die Unterbringung" auf und wies die Beschwerde des Betroffenen im Übrigen zurück.
Hiergegen richtete sich der Betroffene zunächst mit einem Schreiben vom 9.8.2007, mit dem er sich insbesondere dagegen wandte, dass das LG ihn nicht persönlich angehört hatte.
Nach Nachholung der zunächst unterbliebenen Rechtsmittelbelehrung legte der Betroffene sodann zu Protokoll der Rechtspflegerin des AG Lampertheim am 27.8.2007 weitere Beschwerde ein, mit der er geltend machte, der dargestellte Sachverhalt entspreche nicht der Wahrheit. Er sei voll und ganz selbst in der Lage, seine Angelegenheiten zu besorgen und benötige keine Betreuung.
Er suche selbst ärztliche Hilfe und wolle alles tun, damit eine Unterbringung vermieden werde.
II. Die nach entsprechender Belehrung formgerecht eingelegte weitere Beschwerde ist zulässig und führt in der Sache insoweit zum Erfolg, als der Beschluss des LG und die Nichtabhilfeentscheidung des AG aufzuheben und das Verfahren zur weiteren Prüfung und Entscheidung an das AG zurückzuverweisen ist.
Diese Entscheidungen der Vorinstanzen können keinen Bestand haben, da sie auf Verfahrensfehlern beruhen, §§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO.
Nach § 1896 Abs. 1 Satz 1 BGB ist ein Betreuer von Amts wegen zu bestellen, wenn ein Volljähriger aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann. Dabei darf ein Betreuer gem. § 1896 Abs. 2 BGB nur für solche Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Des Weiteren hat der Gesetzgeber durch die Regelung des § 1896 Abs. 1a BGB nunmehr entsprechend den zuvor von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (vgl. BayObLG BtPrax 1994, 209; OLG Hamm FGPrax 1995, 56; OLG Frankfurt OLGReport Frankfurt 1997, 62) klargestellt, dass gegen den freien Willen eines Volljährigen ein Betreuer nicht bestellt werden darf. Zur Überprüfung der freien Willensbestimmungsfähigkeit kommt es maßgeblich darauf an, ob der Betroffene in der Lage ist, seinen Willen frei, d.h. unbeeinflusst von der psychischen Erkrankung zu bilden und nach der gewonnenen Einsicht zu handeln. Dabei hat sich die Frage der Einsichtsfähigkeit auf die jeweiligen Aufgabenkreise zu beziehen, für welche eine Betreuung gegen den Willen des Betroffenen eingerichtet werden soll. Die Einsichtsfähigkeit setzt voraus, dass der Betroffene in der Lage ist, die im Grundsatz für und gegen eine Betreuerbestellung zu den einzelnen Aufgabenkreisen sprechenden Gesichtspunkte zu erkennen und gegeneinander abzuwägen, wobei an seine Auffassungsgabe keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen. Maßgeblich ist das Verständnis, dass ein gesetzlicher Vertreter i.S.d. § 1902 BGB bestellt wird, der eigenständige Entscheidungen in den ihm übertragenen Aufgabenkreisen treffen kann. Ist der Betroffene in diesem Sinne einsichtsfähig, so ist seine ablehnende Haltung zu akzeptieren, soweit er in der Lage ist, eine dieser Einsicht entsprechende Entscheidung zu treffen und hiernach zu handeln (vgl. BT-Drucks. 15/2494, 28; OLG Köln FGPrax 2006, 117; BayObLG BtPrax 2004, 68). Die hierzu erforderlichen Feststellungen sind auf der Grundlage des Gutachtens eines Sachverständigen nach § 68b Abs. 1 Satz 1 FGG zu treffen. Hierin hat der Sachverständige unter Angabe des Zeitpunktes der zeitnah erfolgten eigenen Untersuchung den Untersuchungsbefund, aus dem die Diagnose abgeleitet wird, im Einzelnen mitzu...