Leitsatz (amtlich)
1. Eine Betäubungsmittelsucht - wobei eine seelische Abhängigkeit ausreicht - muss nicht nur zum Zeitpunkt der abgeurteilten Taten vorliegen und diesen zu Grunde liegen, sondern auch (noch) bei Bewilligung der Zurückstellung der Vollstreckung der Strafe gegeben sein.
2. Zur Frage der erforderlichen Sachverhaltsermittlung bei der Beurteilung der Frage des Fortbestehens einer psychischen Betäubungsmittelabhängigkeit.
Gründe
Der Antragsteller wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Schöffengerichts - Marburg vom 13.02.2007 wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls in 14 Fällen, davon einmal im Versuch, sowie wegen eines weiteren Diebstahls und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren und 10 Monaten verurteilt. Im Urteil ist festgestellt, dass der Verurteilte seit seinem 16. Lebensjahr drogenabhängig ist, das Vollbild der Polytoxikomanie aufweist und die abgeurteilten Taten auf seinem Beschaffungsbedarf von circa 5 g Heroin täglich beruhten. Er befindet sich in Strafhaft in der JVA ..., 2/3 der Strafe waren am 01.09.2009 verbüßt. Strafende in dieser Sache ist auf den 12.12.2010 notiert.
Der Verurteilte beantragte, die Vollstreckung der - weniger als zwei Jahre betragenden - Reststrafe zurückzustellen. Das Amtsgericht erteilte mit Beschluss vom 04.11.2008 hierzu seine Zustimmung. Die externe Drogenberatung teilte mit Schreiben vom 21.11.2008 mit, die abgegebenen Urinkontrollen seien seit dem Jahre 2007 auf Drogenmissbrauch negativ. Aufgrund der langjährigen Abhängigkeit des Verurteilten bestehe ein erhebliches Rückfallrisiko, wenn er ohne therapeutische Unterstützung in sein altes Umfeld zurückkehre. Nach den ärztlichen Befundberichten des medizinischen Dienstes, die zur Erreichung der Kostenübernahmeerklärung des Sozialversicherungsträgers erstellt worden seien, liege eine Polytoxikomanie vor und seien die Indikationskriterien für eine stationäre Entwöhnungsbehandlung erfüllt. Am 23.1. 2009 teilte der Anstaltsarzt auf Nachfrage der Vollstreckungsbehörden mit, der Verurteilte sei letztmalig am 03.12.2006 auf THC positiv getestet worden, eine aktuelle Suchtproblematik bestehe nicht.
Die Staatsanwaltschaft Marburg lehnte es mit Verfügung vom 19.03.2009 (erneut) ab, die Vollstreckung der zurückzustellen. Die hiergegen eingelegte Vorschaltbeschwerde verwarf die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht mit Bescheid vom 15.04.2009. Die Vollstreckungsbehörden haben ihre Ablehnung im Wesentlichen darauf gestützt, es fehle an einer aktuellen Betäubungsmittelabhängigkeit des Verurteilten, wie sich aus der Auskunft des Anstaltsarztes ergebe.
Dass gemäß der Stellungnahme vom 23.11.2008 von einem erheblichen Rückfallrisiko bei Rückkehr des Antragsteller in sein altes Umfeld ohne therapeutische Unterstützung auszugehen sei, ändere daran nichts. § 35 BtMG diene nicht der präventiven Verhinderung einer künftigen Suchtmittelabhängigkeit.
Hiergegen richtet sich der fristgerecht eingegangene Antrag auf gerichtliche Entscheidung mit dem geltend gemacht wird, die Vollstreckungsbehörden würden den Begriff der aktuellen Suchtproblematik verkennen. Beim Verurteilten bestehe nach wie vor eine psychische Abhängigkeit. Ein Rückfall in die körperliche Abhängigkeit sei lediglich durch das beschützende Setting des geschlossenen Vollzugs verhindert worden. Hiervon gehe auch die Justizvollzugsanstalt aus, wie der Einweisungsbescheid der JVA ..., die Vollzugsplanfortschreibung vom 04.11.2008 und der Bescheid vom 19.02.2009 betreffend die Ablehnung der Gewährung von Ausgang belegen würden.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, namentlich ist er entgegen der Auffassung der Generalsstaatsanwaltschaft in ihrer Zuschrift vom 27.04.2009 die Rechtsverletzung ausreichend i.S. des § 24 EGGVG substantiiert. Namentlich konnte sich der Verurteilte zur Darlegung seiner aktuellen Suchtmittelabhängigkeit auf die Wiedergabe der diesbezüglichen Stellungnahmen der Drogenberatung und des medizinischen Dienstes beschränken.
Der Antrag hat in der Sache auch einen - zumindest vorläufigen - Erfolg.
Bei der von der Vollstreckungsbehörde getroffenen Entscheidung, von einer Zurückstellung der Strafe nach § 35 BtMG abzusehen, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung, die vom Senat gem. § 28 EGGVG nur daraufhin überprüft werden kann, ob die Behörde von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind, oder ob die Vollstreckungsbehörde in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Ein derartiger Ermessensfehler liegt hier vor.
Die Vollstreckungsbehörde ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass eine Betäubungsmittelabhängigkeit nicht nur - wie hier unzweifelhaft der Fall - zum Zeitpunkt der Taten, sondern auch bei der Bewilligung der Zurückstellung der Vollstreckung gegeben sein muss. Denn wenn der Täter im Zeitpunkt der Antragstellung seine Abhängigkeit bereits überwunden hat und der deswe...