Leitsatz (amtlich)
1. Ein Anspruch auf Verlängerung von Betreuungsunterhalt nach § 1570 Abs. 1 und 2 BGB kommt auch bei volljährigen Kindern in Betracht, wenn dies unter Berücksichtigung der Gestaltung von Kinderbetreuung und Erwerbstätigkeit in der Ehe sowie der Dauer der Ehe der Billigkeit entspricht. Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung sind kind- und elternbezogene Verlängerungsgründe zu berücksichtigen.
2. Steht das volljährige Kind wegen einer Behinderung unter gesetzlicher Betreuung und hat die als Betreuerin bestellte Mutter ihr Aufenthaltsbestimmungsrecht dahin ausgeübt, dass dieses in ihrem Haushalt verbleibt und von ihr versorgt wird, kann der unterhaltspflichtige Vater nicht geltend machen, dass eine Unterbringung des Kindes in einer betreuten Wohngruppe dem Kindeswohl förderlicher sei und die Mutter in die Lage versetzen würde, eine vollschichtige Tätigkeit auszuüben.
3. Eine Befristung des Betreuungsunterhalts nach § 1578b BGB kommt nicht in Betracht, weil § 1570 BGB insoweit eine Sonderregelung für die Billigkeitsabwägung enthält und die kind- und elternbezogenen Umstände des Einzelfalls bereits im Rahmen der Billigkeitsabwägung nach § 1570 Abs. 1 Satz 2 BGB zu berücksichtigen sind.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 13.140,- Euro festgesetzt.
Der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Dieburg vom 22.03.2023 wird dahingehend abgeändert, dass der Wert auf 13.140,- Euro festgesetzt wird.
Gründe
I. Der Antragsteller begehrt die Abänderung eines im Jahr 2017 errichteten Unterhaltstitels.
Die Beteiligten waren in der Zeit von 1998 bis 2015 miteinander verheiratet. Aus der Ehe gingen die Kinder X, geboren am ...2003, und Y, geboren am ...2004, hervor. Der Antragsteller geht seit September 1999 einer beruflichen Tätigkeit bei der ... nach. Die Antragsgegnerin ist thailändische Staatsangehörige, war zum Zeitpunkt der Eheschließung 26 Jahre alt und hat keine Berufsausbildung.
Nach der Trennung der Beteiligten verblieb die Antragsgegnerin mit den Kindern in der Familienwohnung im 1. Obergeschoss des im Miteigentum der Beteiligten stehenden Zweifamilienhauses. Seinerzeit zahlte sie an den Antragsteller monatlich 350,- Euro als Anteil für die Tilgung des Immobiliendarlehens für das Haus, der vom Antragsteller geleistete Tilgungsbeitrag betrug 466,- Euro.
Die Antragsgegnerin lebt weiterhin mit Y in derselben Wohnung. X, die 2016 in der Kinder- und Jugendpsychiatrie therapiert wurde, schloss 2023 die Schule mit dem Erwerb der Allgemeinen Hochschulreife ab und lebt mittlerweile mit zwei Freunden in der Erdgeschosswohnung des Zweifamilienhauses. Hierfür erhält der Antragsteller eine monatliche Kaltmiete in Höhe von 600,- Euro. Größe und Ausstattung der Wohnung entsprechen der Wohnung im 1. Obergeschoss des Hauses. Das Immobiliendarlehen ist inzwischen getilgt und die Antragsgegnerin zahlt wegen gestiegener Gaspreise monatlich 40,- Euro an den Antragsteller.
Y, die mit zwei Gendefekten (Trisomie 18 + Monosomie 2q) geboren wurde, welche mit tiefgreifenden Entwicklungsstörungen (ICD: F 84) und schwerster Intelligenzminderung (ICD: F 73) einhergehen, hat einen Grad der Behinderung von 100 und ist seit dem Jahr 2017 in Pflegestufe 4 eingruppiert. Der Medizinische Dienst Hessen stellte zuletzt einen wöchentlichen Pflegeaufwand von 70 Stunden fest. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten des Medizinischen Dienstes Hessen zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI vom 05.11.2021 (Bl. 22 ff. d. A.) Bezug genommen. Die tägliche Pflege von Y wird seit jeher von der Antragsgegnerin übernommen.
Im Mai 2022 wurde Y wegen einer beidseitigen Fehlentwicklung (Malalignment) der unteren Extremitäten operiert. An die Operation schloss sich vom 27.07.2022 bis zum 01.09.2022 eine Rehabilitationsmaßnahme an, zu der sie von der Antragsgegnerin begleitet wurde. Nach wie vor nimmt sie dreimal wöchentlich Physiotherapietermine wahr und wiederholt die Übungen zweimal täglich mit Unterstützung der Antragsgegnerin. Zusätzlich trainiert sie ihre Muskeln durch tägliches Radfahren auf dem Heimtrainer, wozu sie aber nur bereit ist, wenn die Antragsgegnerin neben ihr auf dem Crosstrainer mittrainiert. Für Oktober 2023 ist eine weitere Operation an den unteren Extremitäten mit anschließender vierwöchiger Rehabilitationsmaßnahme geplant.
Aufgrund ihrer Erkrankung ist Y nicht in der Lage, sich allein zu versorgen. Sie kann nicht lesen, schreiben und rechnen. Bis zum Sommer 2023 besuchte Y eine Schule mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung von Montag bis Donnerstag von ca. 8.30 Uhr bis 14.00 Uhr und freitags von ca. 8.30 Uhr bis 12.15 Uhr. Seit dem 04.09.2023 befindet sich Y in einem Ausbildungsverhältnis bei der Stiftung Nieder-Ramstädter Diakonie, wo sie sich montags bis donnerstags von 7.45 Uhr bis 15.45 Uhr und freitags von 7.45 Uhr bis 12.30 Uhr aufhält.
Der Antragsteller sieht Y jeden Samstag von 11...