Leitsatz (amtlich)
Erweist sich eine geteilte Betreuung beider Eltern als dem Kindeswohl am besten entsprechend, ist das gemeinsame Aufenthaltsbestimmungsrecht beider Eltern beizubehalten, es sei denn, es könnte davon ausgegangen werden, dass ein Elternteil ein alleiniges Aufenthaltsbestimmungsrecht im Sinne einer geteilten Betreuung ausüben würde und dass der andere Elternteil zur Übernahme einer geteilten Betreuung für den Fall bereit wäre, dass die von ihm eigentlich gewünschte überwiegende Betreuung des Kindes durch ihn nicht zustande kommt.
Die Anordnung einer geteilten Betreuung im Rahmen eines Sorgerechtsstreits kommt nicht in Betracht. Vielmehr hat die konkrete Aufteilung der Betreuungsanteile dann bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge im Rahmen einer gerichtlichen Umgangsregelung zu erfolgen, sofern sich beide Eltern über die Betreuungsanteile nicht im Rahmen ihres gemeinsamen Aufenthaltsbestimmungsrechts verständigen können.
Von einer geteilten Betreuung ist dabei nicht nur bei einer exakt gleichen zeitlichen Aufteilung der Betreuungsanteile zwischen beiden Eltern im Sinne eines paritätischen Wechselmodells auszugehen, sondern immer dann, wenn das Kind bei beiden Eltern ein Domizil hat und beide Eltern sich die Versorgungs- und Erziehungsaufgaben etwa hälftig teilen. Diese Voraussetzungen sind jedenfalls bei einer Aufteilung der Betreuungsanteile im Verhältnis von 4:3 bei abwechselnder Betreuung an den Wochenenden, bei Vorhandensein eines Kinderzimmers in den Wohnungen beider Eltern und bei gleichzeitiger Bereitschaft beider Eltern zur Verantwortungsübernahme und zur Sicherstellung des Kindertagesstättenbesuchs erfüllt.
Normenkette
BGB §§ 1671, 1684
Verfahrensgang
AG Alsfeld (Aktenzeichen 21 F 331/18) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die wechselseitgien Anträge beider Eltern auf Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für das betroffene Kind werden zurückgewiesen. Es bleibt insgesamt beim gemeinsamen Sorgerecht beider Eltern.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Die Gerichtskosten beider Rechtszüge tragen die Eltern je hälftig. Ihre in beiden Rechtszügen entstandenen Aufwendungen tragen die Beteiligten selbst.
Der Verfahrenswert wird für den zweiten Rechtszug festgesetzt auf 3.000,- Euro.
Gründe
I. Die auf Grund einer Sorgeerklärung nach § 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB gemeinsam sorgeberechtigten Eltern streiten über das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das minderjährige Kind L., geboren am 25.12.2016.
Die Eltern lebten mit dem Kind und zwei aus einer vorangegangenen Beziehung hervorgegangenen, am 17.7.2006 und am 15.7.2009 geborenen Töchtern der Mutter bis zum 14.1.2018 im Haus des Vaters in A.-A.. Der Vater ist als Außendienstmitarbeiter im Maschinenvertrieb bei einer Firma in L. beschäftigt; er nahm nach der Geburt des Kindes zwei Monate Elternzeit. Während seiner beruflichen Abwesenheiten wurde L. von der Mutter betreut; im Übrigen teilten sich beide Eltern nach übereinstimmenden Angaben die Betreuung und Versorgung des Kindes. Seit dem 1.1.2018 besuchte L. die Kindertagesstätte P. in S.-B., und zwar an drei Tagen je Woche von 8:00 Uhr bis 14:30 Uhr und an zwei Tagen je Wochen von 8:00 Uhr bis 13:30 Uhr. Die Mutter geht einer Teilzeitbeschäftigung bei einer Firma in A. mit 15 Wochenstunden nach; sie hat die Möglichkeit, einen Großteil ihrer Arbeit zu Hause zu erledigen.
Nach einer körperlichen Auseinandersetzung beider Eltern am 13.1.2018, deren Verlauf von beiden Eltern unterschiedlich dargestellt wird, zog die Mutter mit allen drei Kindern am 14.1.2018 aus dem Haus des Vaters aus und kam zunächst in der Wohnung des Vaters ihrer beiden Töchter in S. unter. Mit L.s Vater verständigte sie sich nach der Trennung zunächst darauf, dass L. jeweils von Dienstag auf Mittwoch und von Samstag auf Sonntag vom Vater betreut wird. Als die Mutter den Umgang des Vaters von Dienstag auf Mittwoch nicht mehr zuließ, einigten sich beide Eltern am 14.5.2018 unter Vermittlung des Jugendamts dahingehend, dass der Vater L. im wöchentlichen Wechsel entweder von Freitag auf Samstag oder von Samstag auf Sonntag zu sich nimmt.
Nachdem die Mutter eine Beziehung zu einem in Österreich lebenden Mann aufgenommen hatte, zog sie zu Beginn der Sommerferien 2018 mit den Kindern aus der Wohnung des Vaters ihrer beiden Töchter aus und zog in die Dachgeschosswohnung im Anwesen ihrer Eltern in L.-H. ein.
Am 4.7.2018 beantragte sie beim Amtsgericht die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts für L. im Hinblick auf ihren nunmehr noch während der Sommerferien 2018 beabsichtigten Umzug in das Haus ihres neuen Partners in Österreich. Einen entsprechenden Antrag stellte sie für ihre beiden Töchter.
L.s Vater trat dem Antrag entgegen und beantragte die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf sich. L.s Vater kündigte für den Fall einer Aufnahme L.s in seinen Haushalt eine Reduzierung seiner Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden sowie eine Ausweitung der Betreuungszeiten...