Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine fehlende Dringlichkeit bei Geltendmachung von § 4 Nr. 1 UWG erst in der Beschwerde
Leitsatz (amtlich)
1. Stützt der Antragsteller in einem einstweiligen Verfügungsverfahren den Antrag zunächst auf § 4 Nr. 2 UWG und erwähnt erstmals in der Beschwerdebegründung § 4 Nr. 1 UWG, steht dem Erlass einer einstweiligen Verfügung nicht die fehlende Dringlichkeit entgegen.
2. Die Aussage über einen Mitbewerber, dieser "kopiere und klaue" Produkte, stellt eine unlautere Herabsetzung nach § 4 Nr. 1 UWG dar.
Normenkette
UWG § 4 Nrn. 1-2, § 12 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 04.10.2022; Aktenzeichen 2-3 O 276/22) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
Der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main zu Az. 2-03 O 276/22 wird abgeändert.
Dem Antragsgegner wird es bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in Bezug auf die Antragstellerin gegenüber Dritten zu behaupten/behaupten zu lassen und oder zu verbreiten/verbreiten zu lassen:
"Erst Produkte kopieren & klauen (...)",
wenn dies geschieht, wie am 26.7.2022 auf TikTok unter dem Kanal X und wie auf nachfolgendem Screenshot ersichtlich:
((Abbildung))
Die Kosten des Eilverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Beschwerdewert: 16.666 EUR
Gründe
I. Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich des Verkaufs spiritueller Produkte, wie beispielsweise "Ritualkerzen" und Schmuck.
Die Antragstellerin präsentierte am 26.7.2022 in einem Video auf der Plattform TikTok ein Paket mit ihren in farbigem Papier eingewickelten "Ritualkerzen". Von diesem Video machte der Antragsgegner einen Screenshot und veröffentlichte dazu eine so genannte "Story" auf der Plattform TikTok mit dem im Tenor eingeblendeten Inhalt (Anl. K4):
Das Landgericht hat den auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gerichteten Antrag mit Beschluss vom 4.10.2022 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, es liege kein Fall des § 4 Nr. 2 UWG vor, da es an einer Tatsachenbehauptung fehle. Im Gesamtkontext verstehe der angesprochene Verkehrskreis die Aussage als Rechtsmeinung, die ein ganz überwiegend auf Wertung beruhende subjektive Beurteilung des Äußernden zum Ausdruck bringe. Die Frage der Unwahrheit könne eine Beweisaufnahme nicht zugeführt werden. Im Übrigen sei nicht ersichtlich, dass an der Gestaltung des abgebildeten Produkts irgendwelche absoluten Schutzrechte bestehen könnten.
Der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin vom 10.10.2022 hat das Landgericht nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, soweit die Antragstellerin in der Beschwerde erstmals geltend mache, der Antrag sei aus § 4 Nr. 1 UWG begründet, könne dies mangels Verfügungsgrundes nicht mehr berücksichtigt werden. Da der Gesichtspunkt des § 4 Nr. 1 UWG nicht schon im Antrag geltend gemacht worden sei, müsse davon ausgegangen werden, dass der Antragstellerin die Untersagung unter diesem Gesichtspunkt nicht so eilig war. Auch aus §§ 823 Abs. 1, 1004 Absatz 1 S. 2 BGB stehe der Antragstellerin kein Unterlassungsanspruch zu, da ein Eingriff jedenfalls nicht rechtswidrig sei. Es liege eine Meinungsäußerung vor, die die Grenze zur Schmähkritik nicht überschreite.
Die Antragstellerin beantragt:
1. Der Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main zu Az. 2-03 O 276/22 wird aufgehoben.
2. Dem Antragsgegner wird es bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt,
im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs
in Bezug auf die Antragstellerin gegenüber Dritten zu behaupten/behaupten zu lassen und oder zu verbreiten/verbreiten zu lassen:
"Erst Produkte kopieren & klauen (...)"
wenn dies geschieht, wie am 26.7.2022 auf TikTok unter dem Kanal X und auf nachfolgendem Screenshot ersichtlich:
((Abbildung))
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
II. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Der Antragstellerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 3 Nr. 1, 4 Nr. 1 UWG zu.
1. Dabei kann dahinstehen, ob in der Aussage, "Produkte kopieren & klauen" ein Werturteil oder eine Tatsachenbehauptung liegt.
Zwar sind rechtliche oder moralische Bewertungen in der Regel als Meinungsäußerung zu qualifizieren. So ist die Bezeichnung eines Verhaltens als "illegal" oder "strafrechtlich relevant" ebenso als Meinungsäußerung eingestuft worden wie die im Vorfeld der rechtlichen Bewertung angesiedelten Begriffe "Sittenstrolch" oder "Wirtschaftskriminalität". Ein Werturteil kann auch dann vorliegen, wenn ein strafrechtlich relevanter Vorwurf erhoben wird, der eine komplexe rechtliche Würdigung erfordert und bei dem der wertende Gehalt der Äußerung einen etwaigen Tatsachenkern überlagert.
Von einer Tatsachenbehauptung ist jed...