Entscheidungsstichwort (Thema)

Rasterfahndung, Beschwerderecht, Richtervorbehalt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei einer richterlichen Anordnung nach § 26 Abs. 4 S. 1 HSOG, durch die öffentliche Stellen zur Übermittlung von automatisiert gespeicherten personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen an Polizeibehörden zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Datenbeständen (Rasterfahndung) verpflichtet werden, haben die einzelnen von der Datenübermittlung betroffenen Personen ein Beschwerderecht i.S.v. § 20 Abs. 1 FGG.

2. Der Richtervorbehalt des § 26 Abs. 4 S. 1 HSOG und das gerichtliche Verfahren sollen auch den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der von der Datenübermittlung betroffenen Personen gewährleisten.

 

Normenkette

HSOG § 26 Abs. 1, §§ 4, 39 Abs. 1; FGG § 20 Abs. 1

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Prüfung und Entscheidung – auch über die außergerichtlichen Kosten des weiteren Beschwerdeverfahrens – an das LG Wiesbaden zurückverwiesen.

Beschwerdewert: 3.000 EUR

 

Gründe

Am 24.9.2001 beantragte das Hessische Landeskriminalamt, der Beteiligte zu 1), bei dem AG Wiesbaden nach § 26 Abs. 1 und 4 des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG) anzuordnen, dass die Meldebehörden des Landes Hessen, die hessischen Universitäten und Hochschulen sowie das Luftfahrtbundesamt verpflichtet sind, ihm von näher bestimmten Personengruppen automatisiert gespeicherte personenbezogene Daten, nämlich Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort und Anschrift zum Zwecke des Abgleichs mit anderen Datenbeständen (Rasterfahndung) zu übermitteln.

Der Beteiligte zu 1) begründete seinen Antrag im wesentlichen mit einer nach den Terroranschlägen vom 11.9.2001 anzunehmenden Gefährdungssituation im Falle eines Militärschlages gegen Ziele in Afghanistan und/oder Unterstützerstaaten.

Mit Beschluss vom 25.9.2001 gab das AG Wiesbaden dem Antrag in vollem Umfang statt. Über die Entscheidung wurde in der Presse berichtet (vgl. juris – Pressemitteilungen Justiz/dpa, Stichwort: Rasterfahndung).

Am 15.10.2001 legte der Beteiligte zu 2), der nach eigenen Angaben in Gießen studiert und sudanesischer Staatsangehöriger ist, gegen den amtsgerichtlichen Beschluss Beschwerde ein. Er sieht in der Übermittlung von Daten an den Beteiligten zu 1), die seine Person betreffen, einen Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Das LG Wiesbaden hat mit Beschluss vom 14.11.2001 die nach den §§ 26 Abs. 4 S. 2, 39 Abs. 1 S. 3 HSOG, 19 FGG an sich statthafte Beschwerde mangels Beschwerdeberechtigung des Beteiligten zu 2) als unzulässig angesehen und zurückgewiesen.

Die dagegen gerichtete – am 22.11.2001 eingegangene – weitere Beschwerde des Beteiligten zu 2) ist zulässig, weil das LG die Erstbeschwerde als unzulässig behandelt hat (vgl. Keidel/Kahl FGG, 14. Aufl., § 27 Rz. 7). Die weitere Beschwerde hat insoweit Erfolg, als die Sache an das LG zur neuen Prüfung und Entscheidung zurückzuverweisen ist.

Die Verneinung des Beschwerderechts des Beteiligten zu 2) durch das LG ist nicht frei von Rechtsfehlern.

Nach § 20 Abs. 1 FGG steht die Beschwerde jedem zu, dessen Recht durch die Verfügung (hier: den amtsgerichtlichen Beschluss) beeinträchtigt ist. Das ist hier der Fall.

Soweit das LG ausführt, dass die Rasterfahndung wegen der Bedeutung für Unbeteiligte unter Richtervorbehalt stehe, jedoch Unbeteiligten kein Beschwerderecht zustehen könne, trägt dies nicht die Annahme des LG, dass auch die durch die erlassene richterliche Anordnung betroffenen zu bestimmten Personengruppen gehörenden einzelnen Personen kein Beschwerderecht haben. Entgegen der Auffassung des LG steht auch nicht die Rasterfahndung als solche unter Richtervorbehalt, sondern die Erhebung von fremden Daten (hier: automatisiert gespeicherten personenbezogenen Daten bisher unbekannter einzelner Personen) zum Zwecke des Datenabgleichs mit anderen Datenbeständen.

Der Senat vermag dem LG auch nicht darin zu folgen, dass sich der amtsgerichtliche Beschluss allein gegen die von ihm zur Datenübermittlung verpflichteten öffentlichen Stellen richte, nur diese an den Beschluss gebunden seien und der Beschluss weiterreichende Bedeutung nicht habe.

Das LG übersieht, dass es nicht um die Übermittlung/Weitergabe von Daten geht, die die verpflichteten Stellen selbst betreffen, sondern um personenbezogene Daten bestimmter Personengruppen, nämlich Namen, Anschriften, Tag und Ort der Geburt sowie auf im einzelnen Fall festzulegende Merkmale (vgl. § 26 Abs. 2 S. 1 HSOG). Das LG, das augenscheinlich nur den zur Datenübermittlung verpflichteten Stellen ein Beschwerderecht einräumen will, hat sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, ob die verpflichteten öffentlichen Stellen überhaupt eigene Rechte i.S.d. § 20 Abs. 1 FGG im Zusammenhang mit den ihnen anvertrauten und von ihnen verwalteten Daten haben können und welches Recht der verpflichteten Stellen gegebenenfalls durch die richterliche Anordnung nach § 26 Abs. 4 HSOG beeinträchtigt sein kö...

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