Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergaberecht: Anforderungen an die Konkretisierung von Rügen; zwingender Ausschluss eines Bieters wegen unvollständiger Referenzunterlagen
Leitsatz (amtlich)
1. Fordert der Auftraggeber die Vorlage von Referenzen über vergleichbare Leistungen des Bieters innerhalb der letzten drei Jahre bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, so erfüllt ein neu gegründetes Unternehmen, das Referenzen über die ausgeführten Arbeiten eines anderen Unternehmens vorlegt, ohne innerhalb der gesetzten Frist darzulegen, inwieweit es den Auftrag vollständig oder zu einem ganz überwiegenden Teil durch dasselbe Personal des Unternehmens durchführen wird, nicht die geforderten Angaben.
2. Ein insoweit unvollständiges Angebot ist zwingend gem. §§ 25 Nr. 1 Abs. 2, 21 Nr. 1 Absatz Satz 5 VOB/A (2006) ohne die Möglichkeit eines Aufklärungsgesprächs gem. § 124 VOB/A (2006) auszuschließen, da es sich um eine unzulässige nachträgliche Änderung oder Ergänzung des Angebots handeln würde.
Normenkette
GWB § 107 Abs. 3; VOB/A § 21 Nr. 1 Abs. 2 Nr. 5, § 25 Nr. 1 Abs. 2, § 124
Verfahrensgang
1. Vergabekammer des Landes Hessen (Beschluss vom 16.02.2010; Aktenzeichen 69d VK-59/09) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 1. Vergabekammer des Landes Hessen bei dem Regierungspräsidium Darmstadt vom 16.2.2010 (Az: 69d VK-59/2009) aufgehoben.
Der Antragsgegnerin wird untersagt, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die bei der Vergabekammer entstandenen Kosten und die Gerichtskosten als Gesamtschuldner. Die zur Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der Antragstellerin vor der Vergabekammer und im Beschwerdeverfahren tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene je zur Hälfte.
Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin für das Verfahren vor der Vergabekammer wird für notwendig erklärt.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 229.499,61 festgesetzt.
Gründe
I. Die Antragsgegnerin schrieb für die Baumaßnahme "A." im offenen Verfahren Trockenbauarbeiten in drei Losen europaweit aus.
Der Ausschreibung lagen die Bewerbungsbedingungen (Formblatt 212 EG) zugrunde, wegen deren genauen Inhalts auf die Anlage ASt 3 zum Schriftsatz der Antragstellerin vom 17.12.2009 verwiesen wird. Unter dem Leistungsverzeichnis war gefordert "rechtsgültige Unterschrift".
Mit Schreiben vom 19.10.2009 gab die Antragstellerin ein Angebot ab. Die von ihr auf den Formblättern 320 EG vorgelegten Verpflichtungserklärungen ihrer Nachunternehmer sind auf dem links oben befindlichen Feld, in dem der Name des betreffenden Bieters einzutragen war, nicht ausgefüllt. Unter demselben Datum gab auch die Beigeladene ihr Angebot ab.
Hierbei bot sie die Arbeiten in Bietergemeinschaft an. Als bevollmächtigten Vertreter, der die Bietergemeinschaftsmitglieder ggü. dem Auftraggeber vertritt, benannte sie die Fa. B GmbH & Co KG. Das Angebot war seitens der C GmbH von ihrem Geschäftsführer, Herrn D unterzeichnet worden; für die B GmbH & Co. KG hatte Herr E unterzeichnet. Ein Nachweis der Vollmacht des Herrn E war dem Angebot nicht beigefügt. Die Bietergemeinschaft und deren Partner sind nicht für Metallbau- und Schlosserarbeiten in die Handwerksrolle eingetragen.
Bei der B GmbH & Co. KG ist alleinvertretungsberechtigt Herr B, bei der C GmbH sind das die Herren F und D.
Nach dem Submissionsprotokoll der Antragsgegnerin vom 22.10.2009 lag das Angebot der Antragsstellerin in preislicher Hinsicht an zweiter Stelle nach demjenigen der Beigeladenen.
Mit Schreiben vom 30.10.2009 forderte die als Planer beauftragte H. AG (nachfolgend H AG) Nachweise von der Beigeladenen, u.a. Erklärungen und Nachweise gem. § 8 Nr. 5 Abs. 2, Nr. 3 Abs. 1 VOB/A nach, die diese innerhalb der ihr gesetzten Frist vorlegte.
Unter dem 25.11.2009 erstellte die H AG die Vergabevermerke für die Lose 1 - 3. Die vom Antragsgegner als Projektsteuerer beauftragte I fertigte am 27.11.2009 hierzu eine Stellungnahme. Sowohl die Stellungnahme als auch die Vergabevermerke wurden am 30.11.2009 von Mitarbeitern der Antragsgegnerin mit dem Vermerk "inhaltlich richtig" unterzeichnet und gegengezeichnet. Dem vorausgegangen war eine rechnerische und formale Prüfung seitens der Antragsgegnerin.
Mit Schreiben vom 2.12.2009 teilte die Antragsgegnerin der Antragsstellerin mit, sie beabsichtige, den Zuschlag am 18.12.2009 auf das Angebot des Bieters "J GmbH & Co. KG," zu erteilen. Bei diesem Bieter handelt es sich um eine Bietergemeinschaft aus der B GmbH & Co. KG und der C GmbH. Ein Angebot dieser Bietergemeinschaft ist im Submissionsprotokoll der Antragsgegnerin nicht verzeichnet.
Daraufhin rügte die Antragstellerin am 7.12.2009 den beabsichtigten Zuschlag auf das Angebot der Bietergemeinschaft wegen diverser vergaberechtlicher Verstöße. Sie beanstandete, dass eine Bietergemeinschaftserklärung nach Ziff. 6.1. der Bewerbungsbedingungen (Formblatt 212 EG) weder zur Angebotsabgabe noch vollständ...