Leitsatz (amtlich)
Die klagende - die öffentliche Zustellung beantragende - Partei muss alle im bisherigen Lebenskreis des Zustellungsempfängers aufscheinenden Möglichkeiten einer Klärung seines derzeitigen Aufenthaltes nutzen und deshalb alles das tun, was eine verständige, an der wirtschaftlich sinnvollen Durchsetzung berechtigter Ansprüche interessierte Partei tun würde, gäbe es die Möglichkeit öffentlicher Zustellung nicht (Anschluss an OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.2.2006 - 24 W 11/06 -, juris) vorgehend LG Kassel, 1.3.2013, Az: 7 O 2431/12, Beschluss
Normenkette
ZPO § 185 Nr. 1; GKG Anl 1 § 3 Abs. 2; GKVerz Nr. 1812
Verfahrensgang
LG Kassel (Beschluss vom 01.03.2013; Aktenzeichen 7 O 2431/12) |
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des LG Kassel vom 1.3.2013 (7 O 2431/12), mit dem der Antrag der Klägerin auf öffentliche Zustellung der Klageschrift vom 21.12.2012 abgelehnt worden ist, wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zwar nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere binnen der Notfrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO eingelegt worden. Der Senat ist zur Entscheidung berufen, nachdem die 7. Zivilkammer des LG Kassel der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 12.3.2013 nicht abgeholfen hat.
Die sofortige Beschwerde hat in der Sache jedoch keinen Erfolg, weil die 7. Zivilkammer die öffentliche Zustellung der Klageschrift zu Recht abgelehnt hat.
Nach § 185 Nr. 1 ZPO kann die Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung (öffentliche Zustellung) erfolgen, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist. Wegen der besonderen Bedeutung der Zustellung für die Gewährung rechtlichen Gehörs sind an die Feststellung, dass der Aufenthalt des Zustellungsadressaten unbekannt ist, im Erkenntnisverfahren hohe Anforderungen zu stellen (vgl. BGH, Urt. v. 4.7.2012 - XII ZR 94/10 -, NJW 2012, 3582, 3583). Im Erkenntnisverfahren darf eine öffentliche Zustellung nur angeordnet werden, wenn die begünstigte Partei alle der Sache nach geeigneten und ihr zumutbaren Nachforschungen angestellt hat, um eine öffentliche Zustellung zu vermeiden, und ihre ergebnislosen Bemühungen gegenüber dem Gericht dargelegt hat (vgl. BGH, Urt. v. 4.7.2012 - XII ZR 94/10 -, NJW 2012, 3582, 3583; Beschl. v. 6.12.2012 - VII ZR 74/12 -, NJW-RR 2013, 307). Es reicht danach für die Bewilligung der öffentlichen Zustellung einer Klageschrift nicht aus, dass der derzeitige Aufenthalt des Beklagten gerade der Klägerin nicht bekannt ist. Der derzeitige Aufenthalt des Zustellungsempfängers muss vielmehr in einem viel weiteren Sinne - nämlich im gesamten bisherigen Lebenskreis des Zustellungsempfängers - unbekannt sein. Dies wird herkömmlich mit dem Erfordernis umschrieben, "niemand" dürfe den Aufenthalt des Zustellungsempfängers kennen (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.2.2006 - 24 W 11/06 -, juris; OLG Frankfurt, Urt. v. 3.12.2008 - 19 U 120/08 -, NJW 2009, 2543, 2544). Unbekannt ist der Aufenthalt einer Person daher nur dann, wenn nicht nur das Gericht, sondern auch die Allgemeinheit den Aufenthalt des Zustellungsadressaten nicht kennt (vgl. BGH, Beschl. v. 6.12.2012 - VII ZR 74/12 -, NJW-RR 2013, 307).
Die eine öffentliche Zustellung beantragende Partei muss deshalb alle im bisherigen Lebenskreis des Beklagten - des Zustellungsempfängers - aufscheinenden Möglichkeiten einer Klärung seines derzeitigen Aufenthaltes nutzen (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.2.2006 - 24 W 11/06 -, juris). Sie muss alles das tun, was eine verständige, an der wirtschaftlich sinnvollen Durchsetzung berechtigter Ansprüche interessierte Partei tun würde, gäbe es die Möglichkeit öffentlicher Zustellung nicht (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.2.2006 - 24 W 11/06 -, juris). Eine in diesem Sinne wirtschaftlich vernünftig handelnde Partei würde sich nicht darauf beschränken, das Einwohnermeldeamt anzuschreiben und eine Internet-Recherche vorzunehmen. Sie würde vielmehr vor allem auch Nachbarn, Eltern und Vermieter anschreiben und im Misserfolgsfalle in der Nachbarschaft persönlich vorstellig werden; denn es entspricht der Erfahrung, dass sich auf persönliche Nachfrage oft deutlich höhere Mitteilungsbereitschaft einstellt als auf lediglich schriftliche Anfragen (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.2.2006 - 24 W 11/06 -, juris). Hält die an der Zustellung interessierte Partei eine persönliche Vorsprache in der bisherigen Umgebung des Zustellungsempfängers nicht für angebracht, so kann - und muss - sie sich fachkundiger Hilfe eines Privatdetektivs bedienen (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 16.2.2006 - 24 W 11/06 -, juris). Eine öffentliche Zustellung kommt erst dann in Betracht, wenn auf dieser Grundlage veranschaulicht werden kann, dass der bisherige Lebenskreis des Zustellungsempfängers "abgeschöpft" ist, ohne dass sich weiterführe...