Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrages wegen Verletzung der Rügepflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Zur Frage, auf welchen Zeitpunkt zur Festlegung des Schwellenwertes im Vergabeverfahren abgestellt werden muss.
2. Zur Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrages wegen Verletzung der Rügepflicht.
3. Zur Frage, wann der gerügte Vergabeverstoß als bekannt angesehen werden kann.
3. Zur Erforderlichkeit einer Rüge i.S.v. § 107 III GWB.
Normenkette
GWB § 100 Abs. 1, § 107 Abs. 3, § 121; VgV §§ 2, 13; VOL/A § 3a
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Aktenzeichen 69d VK-11/2007) |
Gründe
I. Der Antragsgegner ist örtlicher Träger der Sozialhilfe und als sog. "Optionskommune" seit 1.1.2005 für die Verwaltung und Auszahlung des Arbeitslosengeldes II nach dem SGB II im Zuge der sog. Hartz-Reform zuständig. Bereits zuvor war in sämtlichen Bereichen der Sozialverwaltung des Antragsgegners (Sozialamt, Jugendamt, Flüchtlingsamt) die Software der Beigeladenen eingesetzt worden. Bei dieser Software handelt es sich um das Produkt OPEN/A. Für dieses Produkt waren ursprünglich 78 Lizenzen bei dem Antragsgegner vorhanden. Im Dezember 2004 überließ der Antragsgegner dem Eigenbetrieb "...", der der Erfüllung der Aufgaben als Sozialhilfeträger dient, 40 Lizenzen, um die Aufgaben nach dem SGB II zu erfüllen. Diese Lizenzen dienten ausschließlich der Zahlbarmachung an die Hilfeempfänger. Der Eigenbetrieb des Antragsgegners benötigte jedoch weitere Software für das sog. Fallmanagement (Erfassung von Daten zur Vermittlung der Hilfeempfänger in Arbeit). Hierüber verhält sich ein Vermerk vom 1.10.2004, in dem es u.a. heißt, die Zahlbarmachung der Hilfebeträge werde kurzfristig nur über das A-Verfahren möglich sein, eine Alternative zu dieser Lösung sei bis zum heutigen Zeitpunkt nicht bekannt.
Im ersten Halbjahr 2005 fragte der Antragsgegner bei verschiedenen Softwareanbietern nach Softwarelösungen für das Fallmanagement an, u.a. bei der Antragstellerin und der Beigeladenen.
Hierzu heißt es in einem handschriftlichen Vermerk vom 14.12.2004: "Herr F. (Mitarbeiter des Antragsgegners) hat den Auftrag, Angebote einzuholen. Ihm wurden diesbezüglich Unterlagen zur Verfügung gestellt. Herr F. soll hier Präsentationstermine mit den Regionalteamleitungen vereinbaren ...". In der Folgezeit haben die Antragstellerin, die Beigeladene und zwei weitere Anbieter Angebote abgegeben. In einem Vermerk vom 24.10.2006 des Antragsgegners heißt es, im Jahre 2005 hätten vier Softwareanbieter ihre Produkte ... vorgestellt. Als Ergebnis der Präsentation erscheine die Software der Antragstellerin am geeignetsten, da diese Firma eine ganzheitliche Software anbiete, mit der sowohl die Zahlbarkeit wie das Fallmanagement abgewickelt werden könnten. In diesem Einzelfall bestünden gegen eine Auftragserteilung in freihändiger Form keine Bedenken, da schon wirtschaftliche Gründe diese Entscheidung rechtfertigten (Einsparung des Ankaufs weiterer 40 Lizenzen, Einsparung erheblicher Kosten durch zusätzliche Schulungsmaßnahmen beim Wechsel zu einem anderen Anbieter, Einsparung erheblichen Zeitaufwandes durch das Übertragen der Bestandsdaten auf die Bedürfnisse einer anderen Software)".
Am 2.11.2006 schlossen der Antragsgegner und die Beigeladene einen Vertrag über die zeitlich unbefristete Überlassung von Standardsoftware gegen Einmalvergütung, der die Überlassung von 90 Lizenzen zum Inhalt hat, sowie einen Vertrag über die Pflege von Standardsoftware bezüglich 130 Lizenzen. Der Vertrag sollte eine Mindestvertragsdauer von 24 Monaten haben.
Mit Schreiben vom 7.12.2006 teilte die Antragstellerin dem Antragsgegner mit, ihr sei bekannt geworden, dass der Antragsgegner im Begriff sei, Software für die Umsetzung des SGB II zu beschaffen. Es liege die Vermutung nahe, dass beim Antragsgegner eine Umstellung erfolge. Der Umstieg auf ein anderes Softwareprodukt sei ausschreibungspflichtig. Die Antragstellerin forderte eine schriftliche Bestätigung des Inhalts, dass es beim Antragsgegner entweder keinen Umstieg auf eine andere Software gebe oder dass ein solcher Umstieg ausgeschrieben werde. Nachdem der Antragsgegner einen Verstoß gegen Vergaberecht verneinte, sandte die Antragstellerin ihm am 28.1.2007 erneut ein förmliches Rügeschreiben zu und reichte, nachdem der Antragsgegner der Rüge nicht abhalf, unter dem 20.3.2007 einen Nachprüfungsantrag ein.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. den Antragsgegner zu verpflichten, die Beschaffung von Software für den Bereich SGB II sowie zugehörige Dienstleistungen (Pflegeleistungen, Schulungen, Betreuung, Datenmigration) unverzüglich offen und diskriminierungsfrei europaweit auszuschreiben,
2. festzustellen, dass etwaige - ohne Ausschreibung geschlossene - Verträge des Antragsgegners oder von dessen Eigenbetrieben mit A O1 über die Beschaffung von Software für den Bereich SGB II sowie zugehörige Dienstleistungen nichtig sind
3. hilfsweise zu 1. und 2. festzustellen, dass die Unterlassung der Ausschreibung rechtswidrig war und die Antragstelleri...