Leitsatz (amtlich)
Das sog. "nemo-tenetur-Prinzip" bewirkt nicht die Straffreiheit der Abgabe einer unrichtigen, den Steuervoranmeldungen entsprechenden Umsatzsteuerjahreserklärung.
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 5/13 KLs 75/94 Js 9639.0/99) |
Gründe
In der Anklageschrift vom 4.6.2002 wird dem Angeklagten vorgeworfen, am 8.4.1998 in O1 den Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht und dadurch Umsatzsteuer verkürzt zu haben, wobei es bei einem Versuch geblieben sei. In der eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung für das Jahr 1996 unter dem Datum des 7.4.1998, eingegangen beim Finanzamt O1 am 8.4.1996, habe der Angeklagte 6.969.319,35 DM als Vorsteuerbeträge aus 77 Rechnungen des Zeugen Z1 an das Unternehmen des Angeklagten geltend gemacht, wobei ihm bekannt und bewusst gewesen sei, dass es sich bei diesen Rechnungen um Scheinrechnungen handele und ihm hierdurch kein Vorsteueranspruch zugestanden habe. Durch die unzutreffende Geltendmachung habe er in der Absicht gehandelt, Umsatzsteuer in Höhe von 6.969.319,35 DM zu verkürzen, was durch die vorherige Einleitung und Bekanntgabe des Ermittlungsverfahrens gegen ihn jedoch verhindert worden sei.
Das Landgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluss vom 31.10.2003 aus rechtlichen Gründen die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Es bestehe kein hinreichender Tatverdacht, weil die strafbewehrte Pflicht zur Abgabe einer wahrheitsgemäßen Jahressteuererklärung wegen des gegen den Angeklagten laufenden Ermittlungsverfahrens suspendiert gewesen sei. Der Bundesgerichtshof habe entschieden, dass während der Dauer eines wegen der Abgabe unrichtiger Steuervoranmeldungen anhängigen und dem Beschuldigten bekannt gewordenen Strafverfahrens die Strafbarkeit wegen Nichtabgabe der Umsatzsteuererklärung entfalle. Die Überlegungen des Bundesgerichtshofs würden nicht nur die Straffreiheit der Nichtabgabe einer Umsatzsteuererklärung, sondern auch die Straffreiheit der Abgabe einer unrichtigen, aber den Steuervoranmeldungen entsprechenden Steuererklärung rechtfertigen. Das gelte jedenfalls für Fälle wie den vorliegenden, in dem die Umsatzsteuerjahreserklärung vor Bekanntwerden der Entscheidung des Bundesgerichtshofs abgegeben worden sei. Wolle man die Strafbarkeit der Abgabe der unrichtigen Jahressteuererklärung in diesen Fällen bejahen, würde das natürliche Recht des Angeklagten auf Selbstschutz verletzt und ein prozessual zulässiges Verteidigungsverhalten unter Strafe gestellt. Ein Bedürfnis für eine Differenzierung zwischen Nichtabgabe und Abgabe einer den unrichtigen Steueranmeldungen entsprechenden Jahressteuererklärung sei nicht zu erkennen. Für die Strafbarkeit des Beschuldigten könne es keinen Unterschied machen, ob er sich in der für ihn bestehenden Konfliktlage dafür entscheide, eine den Voranmeldungen entsprechende Jahressteuererklärung abzugeben oder die Abgabe einer Jahressteuererklärung zu unterlassen.
Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main hat fristgerecht sofortige Beschwerde eingelegt und im wesentlichen ausgeführt, dass die Übertragung der Konfliktlage bei den Fallkonstellationen der Nichtabgabefälle auf die Begehungsvariante des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO weder dogmatisch begründbar noch interessengerecht sei. In der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.4.2001 werde unmissverständlich darauf hingewiesen, dass die Bestimmungen zum Zwangsmitteleinsatz in § 393 Abs. 1 S. 2 und 3 AO nur die Konfliktsituation des Nichthandelnden, d. h. den strafrechtlichen Unterlassungstäter schützen wollen. Die Regelung des § 393 Abs. 1 S. 2 und 3 AO konkretisiere für das Steuerstrafverfahren nur den allgemeinen Grundsatz, dass eine unzumutbare Handlung nicht erzwungen werden dürfe, weil die Zumutbarkeit normgerechten Verhaltens bei jedem Unterlassungsdelikt vorliegen müsse. Eine Lücke bestehe nicht. Das Zwangsmittelverbot erlaube nicht die Begehung neuen Unrechts, das auch durch ein aktives Handeln im selben Besteuerungsverfahren verwirklicht werden könne.
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 210 Abs. 2 StPO zulässig und begründet.
Das Hauptverfahren war zu eröffnen, da eine Verurteilung wegen versuchter Steuerhinterziehung hinreichend wahrscheinlich ist. Der hinreichende Tatverdacht gründet sich auf die in der Anklage genannten Beweismittel in Verbindung mit dem umfänglichen steuerstrafrechtlichen Schlussbericht des Finanzamtes O2 - Steuerfahndungsstelle - vom 18.5.2001. Der Senat schließt sich den dortigen Bewertungen, die einen hinreichenden Tatverdacht begründen, an.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts bewirkt das "nemo-tenetur-Prinzip" nicht auch die Straffreiheit der Abgabe einer unrichtigen, den Steuervoranmeldungen entsprechenden Umsatzsteuerjahreserklärung.
Die Pflicht zur Abgabe der Jahresumsatzsteuererklärung für 1996 war zwar unter dem Gesichtspunkt suspendiert, das niemand gezwungen werden darf, sich selbst anzuklagen oder gegen sich selbst ...