Entscheidungsstichwort (Thema)

Vergabeverfahren: Notwendiger Hinweis zur Wahrung von Transparenz und Gleichbehandlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Angebot kann nur dann wegen Abweichung von den Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden, wenn die Vergabeunterlagen ausgeschlossen werden, wenn die Vergabeunterlagen in dem maßgeblichen Punkt unmissverständlich und eindeutig sind.

2. Will die Vergabestelle auf Nachfragen eines Bieters eine eher fern liegende "großzügige" Interpretation einer bestimmten, kalkulationsrelevanten Anforderung in den Vergabeunterlagen zugrunde legen, hat sie zur Wahrung der Transparenz und Gleichbehandlung auch die anderen Bieter vor Angebotsabgabe auf diese Auslegungsmöglichkeit hinzuweisen.

3. Eine Beigeladene kann auch dann nach § 128 Abs. 3, 4 GWB a.F. an den Kosten des Nachprüfungsverfahrens beteiligt werden, wenn sie zwar ausdrücklich auf eine Antragstellung in der mündlichen Verhandlung verzichtet, das Verfahren jedoch durch die Einreichung umfangreicher Schriftsätze gefördert hat.

 

Normenkette

GWB § 97; GWB a.F. § 128 Abs. 3-4

 

Verfahrensgang

Vergabekammer des Landes Hessen (Beschluss vom 23.02.2016; Aktenzeichen 69d VK-52/15)

 

Tenor

Auf die sofortigen Beschwerden des Antragsgegners und der Beigeladenen wird der Beschluss der 2. Vergabekammer des Landes Hessen vom 23.02.2016, 69d VK - 52/2015, abgeändert:

Der Antragsgegner wird verpflichtet, bei Fortbestehen der Vergabeabsicht das Vergabeverfahren auf den Zeitpunkt vor Abgabe des 2. Angebotes zurückzuversetzen, den Bietern, die ein 2. Angebot abgegeben haben, unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Senats Gelegenheit zu geben, Teil A und B ihres 2. Angebotes zu überarbeiten, und die Angebote - unter Aufrechterhaltung der getroffenen Wertung im Hinblick auf das Kriterium "Planerische Qualität und Funktionalität" - hinsichtlich des Kriteriums "Kosten" neu zu werten.

Von der für das Verfahren vor der Vergabekammer festgesetzten Gebühr von 70.000 Euro hat die Antragstellerin 30 % und die Beigeladene 35 % zu tragen.

Von den zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen im Verfahren vor der Vergabekammer hat die Antragstellerin 30 % zu tragen.

Von den zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren haben der Antragsgegner und die Beigeladene jeweils 35 % zu tragen.

Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch Antragstellerin, Antragsgegner und Beigeladene im Verfahren vor der Vergabekammer werden für notwendig erklärt.

Die weiter gehenden Beschwerden des Antragsgegners und der Beigeladenen werden zurückgewiesen.

Von den Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin 30 %, der Antragsgegner und die Beigeladene jeweils 35 % zu tragen.

Von den zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen des Antragsgegners und der Beigeladenen im Beschwerdeverfahren hat die Antragstellerin 30 % zu tragen.

Von den zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Aufwendungen der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren haben der Antragsgegner und die Beigeladene jeweils 35 % zu tragen.

Der Streitwert wird auf 21.000.000 Euro festgesetzt.

 

Gründe

I.1) Der Antragsgegner schrieb mit Bekanntmachung vom 24.10.2012 im Verhandlungsverfahren mit vorangegangenem Teilnahmewettbewerb den Neubau des Polizeipräsidiums ... im Wege einer Public Private Partnership europaweit aus. Gegenstand des Beschaffungsvorhabens war der Grundstücksankauf, die Planung, Errichtung und Finanzierung des Polizeipräsidiums sowie die anschließende Vermietung und Bewirtschaftung.

Abschnitt III der Bekanntmachung enthält die rechtlichen, wirtschaftlichen, finanziellen und technischen Angaben. Unter III.1) sind die Bedingungen für den Auftrag formuliert. Darin heißt es:

"III.1.3) Rechtsform der Bietergemeinschaft, an die der Auftrag vergeben wird:

Erforderliche Rechtsform bei Auftragserteilung:

Gesamtschuldnerisch haftende Arbeitsgemeinschaft mit bevollmächtigtem Vertreter, auch zulässig: Auftragsausführung durch eine von dem Bieter zu gründende (und von ihm zu haltende) Projektgesellschaft mit ausreichender Kapitalausstattung oder mit adäquater Sicherheitsleistung und einer Arbeitsgemeinschaften vergleichbaren oder sonst angemessenen Haftung der Konsortialpartner bzw. Gesellschafter zu Gunsten des Auftraggebers.

Die Bewerbergemeinschaft hat zu erklären, dass sie im Auftragsfalle eine Erklärung abgeben wird, in der die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft im Auftragsfall erklärt ist, alle Mitglieder aufgeführt sind und der für die Durchführung des Vertrages bevollmächtigte Vertreter bezeichnet wird ..., erklärt wird, dass alle Mitglieder als Gesamtschuldner haften.

Mehrfachbewerbungen, d.h. parallele Beteiligungen als Einzelbewerber und gleichzeitig als Gesellschafter einer Bietergemeinschaft sind unzulässig."

An dem Teilnahmewettbewerb beteiligten sich u.a. die Antragstellerin in der Form einer Bewerbergemeinschaft und die Beigeladene...

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