Entscheidungsstichwort (Thema)
Gebührenrecht. Hauptverhandlung. Pausenabzug. Pflichtverteidiger. Terminsgebühr. Unterberechung. Keine Zusatzgebühr für Pflichtverteidiger nach RVG-VV Nr. 4122 wegen Pausenabzugs
Normenkette
RVG-VV Nr. 4122
Verfahrensgang
LG Marburg (Entscheidung vom 20.12.2011; Aktenzeichen 4 Js 4626/10) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Landeskasse wird der Beschluss des Landgerichts Marburg vom 20. Dezember 2011 aufgehoben. Es verbleibt bei der Absetzung der Zusatzgebühr (Nr. 4122 VV RVG) durch den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 8. Dezember 2011.
Das Verfahren ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Der Antragsteller ist mit Beschluss vom 8. Februar 2011 zum Pflichtverteidiger des Angeklagten bestellt worden und hat diesen während einer zehntägigen Hauptverhandlung verteidigt. Mit Schriftsatz vom 26. Mai 2011 beantragte er die Festsetzung seiner Pflichtverteidigergebühr in Höhe von insgesamt 8.240,39 EUR. Darin enthalten war eine Zusatzgebühr nach Nr. 4122 VV RVG (Teilnahme an der Hauptverhandlung für mehr als fünf und bis zu acht Stunden) für den vierten Verhandlungstag am 22. Februar 2011 in Höhe von 178,00 EUR zzgl. Umsatzsteuer (insgesamt 211,82 EUR). Die Verhandlung, deren Beginn gerichtlich für 9.00 Uhr bestimmt war, dauerte ausweislich des Protokolls an diesem Tag von 9.15 Uhr bis 14:25 Uhr und war von 9.26 Uhr bis 9.43 Uhr, von 10.36 Uhr bis 11.34 Uhr sowie von 12.06 Uhr bis 14.06 Uhr unterbrochen. Mit Beschluss vom 25. August 2011 setzte die Rechtspflegerin die dem Antragsteller zu zahlende Vergütung auf 7.323,38 EUR fest. In Abzug geriet die Zusatzgebühr nach Nr. 4122 VV RVG für die Verhandlung am 22. Februar 2011, da die Hauptverhandlung nach Abzug der Unterbrechung von 12.06 Uhr bis 14.06 Uhr weniger als fünf Stunden gedauert hat. Der hiergegen eingelegten "Beschwerde" (richtigerweise Erinnerung) des Antragstellers vom 30. September 2011 hat die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 8. Dezember 2011 teilweise abgeholfen, die Zusatzgebühr Nr. 4122 VV RVG aber weiterhin versagt. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2011 hat der Antragsteller die Erinnerung bzgl. dieser Position weiter verfolgt und die Zusatzgebühr ist ihm mit dem angefochtenen Beschluss durch das Landgericht Marburg letztlich zugesprochen worden. Hiergegen richtet sich die mit Schreiben vom 23. Dezember 2011 eingelegten Beschwerde durch den Bezirksrevisor.
II. Die befristete Beschwerde des Bezirksrevisors ist zulässig (§ 56 Abs. 2 i. V. m. § 33 Abs. 3 RVG) und ist, da sie den Wert von 200,00 EUR übersteigt, statthaft (§ 56 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 RVG, § 33 Abs. 7 RVG).
Der Senat entscheidet in der Besetzung mit drei Richtern, weil die angefochtene Entscheidung nicht von einem Einzelrichter erlassen wurde (§ 56 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 RVG).
Das Rechtsmittel ist auch begründet. Dem Antragsteller steht die beantragte Zusatzgebühr nach Nr. 4122 VV RVG (Teilnahme an der Hauptverhandlung für mehr als fünf und bis zu acht Stunden) nicht zu.
Es geht vorliegend ausschließlich um die Frage, ob bei der Berechnung der Länge einer Hauptverhandlung die im Protokoll vermerkten Unterbrechungen für die Bestimmung der vergütungspflichtigen Gesamtdauer abgezogen werden müssen.
Nach der Reform der Rechtsanwaltsvergütung durch das RVG erhält ein Pflichtverteidiger neben der Terminsgebühr die zusätzliche Gebühr nach Nr. 4122 VV RVG (sog. Längenzuschlag) dann, wenn er im ersten Rechtszug vor der Strafkammer mehr als fünf Stunden und bis acht Stunden an der Hauptverhandlung teilnimmt. Zur Bestimmung der Hauptverhandlungsdauer enthält das Gesetz keine Regelung. Ausgehend von Sinn und Zweck der Zusatzgebühr, nämlich den Zeitaufwand eines gerichtlich bestellten Rechtsanwalts für die Teilnahme von über 5 Stunden dauernden Hauptverhandlungstagen zusätzlich zu vergüten, ist die Verhandlungsdauer die Zeitspanne zwischen dem gerichtlich verfügten Beginn und der in der Verhandlung angeordneten Schließung der Sitzung (so die überwiegende Rspr. der OLGs mit Nachweis bei Kotz in Beck'scher Online-Kommentar RVG Stand 15.02.2012 Rdnr. 8.1.; vgl. OLG Frankfurt 2 Ws 197/07 - Beschluss vom 12. Dezember 2007; OLG Koblenz NJW 2006, 1150; a.A. Beginn der Hauptverhandlung nach Protokoll OLG Saarbrücken NStZ-RR 2006, 191). Danach begann die Verhandlung am 22. Februar 2011 um 09.00 Uhr und endete um 14.25 Uhr, so dass vorliegend ohne Absetzung der Verhandlungsunterbrechung die Zusatzgebühr entstanden wäre.
Der Gesetzgeber hat sich zur Frage des Abzugs von Verhandlungsunterbrechungen nicht explizit geäußert. Nach der amtlichen Begründung sind durch das RVG (BTDrucks. 15/1971 Seite 222 ff.) die Strukturen der Verfahrens- und Terminsgebühren neu geregelt und dabei insbesondere die bisherige Rechtsprechung der OLGs zu § 99 BRAGO (BTDrucks. 15/1971 Seite 225) in die neuen Gebührentatbestände eingearbeitet worden. Ziel und Zweck der Reform war es für den Pflichtverteidiger feste Terminsgebühren zu schaffen, auf deren Höhe die Umstände des Einzelfalls ke...