Entscheidungsstichwort (Thema)

Wohnungseigentumssache: Beschlußanfechtung durch in der Anfechtungsfrist zum Eigentümer gewordenen Rechtsnachfolger

 

Verfahrensgang

AG Gießen (Aktenzeichen 22 II 17/90)

LG Gießen (Aktenzeichen 7 T 15/91)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluß und der Beschluß des Amtsgerichts Gießen vom 07.12.1990 werden aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Prüfung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Erstbeschwerde, an das Amtsgericht Gießen zurückverwiesen.

Der Geschäftswert des erstinstanzlichen Verfahrens wird bis zum 23.08.1990 auf 152.932,– DM, danach auf 138.212,– DM festgesetzt. Die Werte des Verfahrens der Erstbeschwerde und des Verfahrens der weiteren Beschwerde betragen je 138.212,– DM.

 

Gründe

Die zulässige sofortige weitere Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Die Beschlüsse der Vorinstanzen sind nicht rechtsfehlerfrei ergangen, weil der Antragstellerin, die vor Ablauf der Anfechtungsfrist des § 23 IV WEG als Eigentümerin im Grundbuch eingetragen worden ist, ein Beschlußanfechtungsrecht zusteht (§ 43 I Nr. 4 WEG).

Die Tatsache, daß vor dem Amtsgericht nicht, vor dem Landgericht nicht vor der vollbesetzten Kammer mündlich verhandelt worden ist, stellt vorliegend entgegen dem Vortrag der weiteren Beschwerde keinen zur Aufhebung zwingenden Verfahrensfehler dar, da die mündliche Verhandlung nur dann zwingend geboten ist, wenn der Sachverhalt noch aufzuklären ist oder eine gütliche Einigung möglich erscheint. Beides war hier nicht der Fall.

In der Sache ist es zwar richtig, daß der BGH (BGHZ 106, 113 = WM 1989, 453 = NJW 89, 1087) des noch nicht im Grundbuch eingetragenen sog. werdenden Wohnungseigentümer in der Sondernachfolge ein Stimmrecht in der Eigentümerversammlung abgesprochen hat. Dies rechtfertigt aber nicht auch die Annahme, daß dem in der Anfechtungsfrist des § 23 IV WEG dann eingetragenen Wohnungseigentümer auch kein Beschlußanfechtungsrecht zukommt.

Die Vorinstanzen durften nicht davon ausgehen, daß das Anfechtungsrecht zwingend dem Stimmrecht folge. Dies ergibt sich weder aus den BGH-Entscheidungen zum fehlenden Stimmrecht des werdenden Wohnungseigentümers (= a.a.O.), zur Haftung des werdenden Wohnungseigentümers (NJW 89, 2697 = WM 89, 525) noch aus der herangezogenen Entscheidung des BayObLG/ZMR 81, 249 = BayObLGZ 81, 50). Abgesehen davon, daß diese – inzwischen aufgegebene – Entscheidung (vgl. BayObLG NJW 90, 3216), wonach der stimmberechtigte werdende Wohnungseigentümer auch zur Anfechtung befugt sein soll, den Umkehrschluß der Vorinstanzen nicht zuließen, war sie der Grund zur Vorlage durch das KG, die zur Entscheidung des BGH zum Stimmrecht (= a.a.O.) geführt hat, der sich dann wiederum das BayObLG angeschlossen hat (NJW 90, 3216).

Richtiger Ansatzpunkt zur Problemlösung ist vielmehr § 43 I Nr. 4 WEG, wonach das Amtsgericht auf Antrag eines Wohnungseigentümers entscheidet und wonach demzufolge derjenige antragsberechtigt ist, der im Zeitpunkt der Antragstellung Wohnungseigentümer ist. Dies war vorliegend bei der Antragstellerin der Fall. Es gibt demgegenüber keinen Anhaltspunkt dafür, daß dieses Anfechtungsrecht deswegen entfallen soll, weil die Antragstellerin in der Eigentümerversammlung, in der die jetzt angefochtenen Beschlüsse gefaßt worden sind, nicht stimmberechtigt gewesen ist. Es ist zwar richtig, daß Stimm- und Anfechtungsrecht miteinander verbunden sind und regelmäßig dem betroffenen Eigentümer allein zustehen. Dies muß aber für einen Ausnahmefall wie den vorliegenden nicht zu der Konsequenz führen, die die Vorinstanzen angenommen haben. Deckert (ETW 2, 1400) weist zutreffend daraufhin, daß auch in anderen Fällen Stimm- und Anfechtungsrecht nicht untrennbar verbunden sind (Verwalteranfechtung, Anfechtung durch den § 25 V WEG vom Stimmrecht ausgeschlossenen Miteigentümer). Auch die Folgerung, daß in einem Fall wie dem vorliegenden Veräußerer und Erwerber (zeitlich nacheinander) anfechtungsberechtigt sein können, steht dem Antragrecht des Erwerbers nicht entgegen, zumal dann nicht, wenn die Beschlußgegenstände – wie hier – beide betreffen. Schließlich spricht für das Antragsrecht auch, daß es einem Wohnungseigentümer möglich sein muß, ihn belastende Eigentümerbeschlüsse (§ 10 III, IV WEG anzufechten, wenn er in der noch laufenden Anfechtungsfrist Wohnungseigentümer wird (vgl. auch die von der Antragstellerin zu den Akten gereichten Stellungnahmen von Röll, Kanzleiter, Deckert, Kellmann und Weitnauer).

Weil über die Beschlußanfechtung jetzt inhaltlich entschieden werden muß, waren die Beschlüsse beider Vorinstanzen aufzuheben und die Sache im Wege der Sprungzurückverweisung an das Amtsgericht zurückzugeben.

Die Geschäfts- und Beschwerdewertfestsetzung mußte ebenfalls geändert werden. Hier haben die Vorinstanzen im Rahmen des § 48 II WEG nicht berücksichtigt, daß insbesondere bei der Anfechtung von Abrechnungen und Wirtschaftsplänen nicht vom Gesamtvolumen ausgegangen werden kann, um dem verfassungsrechtlich garantierten Grundsatz des gleichen Zugang...

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