Leitsatz (amtlich)
1. Zur Erkennbarkeit eines Verstoßes gegen Vergabevorschriften
2. Die Rügeverpflichtung erfordert nach § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB die positive Kenntnis eines Rechtsverstoßes. Hierzu gehört zum einen das Wissen von denjenigen Tatsachen, aus denen sich der Rechtsverstoß ableitet, und zum anderen, dass diese jedenfalls nach der gängigen praktischen Handhabung oder einer Parallelwertung in der Laiensphäre zu einem Verstoß gegen Vergabevorschriften führen. Vermutungen, Zweifel und grob fahrlässige Unkenntnis reichen nicht aus.
Normenkette
GWB § 107
Verfahrensgang
1. Vergabekammer des Landes Hessen (Aktenzeichen 69d VK-12/08) |
Gründe
I. Die Antragsgegnerin gab am 4.10.2007 die Vergabe von Bauarbeiten für die Straßenbahnanbindung "Frankfurter Bogen" in der Stadt ... europaweit bekannt.
In der Bekanntmachung wurde unter der Überschrift
Abschnitt III: Rechtliche, wirtschaftliche, finanzielle und technische Informationen u.a. ausgeführt:
III.2) Teilnahmebedingungen
III.2.1) Persönliche Lage des Wirtschaftsteilnehmers ...
Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit:
Technische Leistungsfähigkeit:
Angaben und Formalitäten, die erforderlich sind, um die Einhaltung der Auflagen zu überprüfen: Gemäß der Ausschreibungsunterlagen.
Am 8.11.2007 veröffentlichte die Antragsgegnerin ebenfalls im Supplement zum Amtsblatt der EU "Ergänzende Angaben".
Darin heißt es u.a.:
Anstatt:
III.2.2) Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit: Mindestkriterien gemäß VOB/A, § 5 SKR muss es heißen:
III.2.2) Wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit: Mindestkriterien gem. §§ 8, 8b VOB/A.
Mit Schreiben vom 16.11.2007 übersandte die Antragsgegnerin allen Bietern eine Auflistung der einzureichenden Unterlagen. Dort wird unter Kabeltiefbauarbeiten aus Los 1, 5 und 6 aufgeführt:
RAL-GZ 962, Gütesicherung.
Mit Telefax vom 11.2.2008 informierte die Antragsgegnerin die Antragstellerin, die neben anderen Bietern ein Angebot abgegeben hatte, gem. § 13 VgV darüber, dass sie beabsichtige, ihr den Zuschlag zu erteilen.
Nachdem eine weitere Bieterin die beabsichtigte Auftragsvergabe mit der Begründung gerügt hatte, das Angebot der Antragstellerin sei unvollständig, weil diese nicht über den geforderten Qualitätsnachweis RAL-GZ 962 verfüge, erkundigte sich ein Vertreter der Antragsgegnerin am 15.2.2008, ob sie über die geforderte Gütesicherung verfüge. Daraufhin übersandte die Antragstellerin das Gütezertifikat der A GmbH, der Tochtergesellschaft eines Mitglieds der Bietergemeinschaft, sowie eine Erklärung über die Rückgriffsmöglichkeiten der Antragstellerin auf deren Ressourcen.
Unter dem 19.2.2008 teilte die Antragsgegnerin den Bietern mit, die Ausschreibung werde aufgehoben, weil kein Angebot eingegangen sei, das den Ausschreibungsbedingungen entspreche, und ein anderer schwerwiegender Grund in Form der Unwirtschaftlichkeit einer Bezuschlagung bestehe.
Mit Telefax vom selben Tag teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass sie ihr Angebot von der Wertung habe ausschließen müssen, weil sie nicht über das geforderte Zertifikat RAL-GZ 962 verfüge.
Mit Schreiben vom 21.2.2008 rügte die Antragstellerin die Aufhebung des offenen Verfahrens und machte geltend, ihr Angebot sei annehmbar und bezuschlagbar. Die Forderung eines Gütezeichens verstoße in einem europaweit durchgeführten Wettbewerb gegen das Diskriminierungsverbot, da es sich um eine rein nationale Zertifizierung handele. Der Nachweis habe überdies nicht verlangt werden dürfen, weil er nicht bereits in der Bekanntmachung gefordert worden sei. Der Grund für die Aufhebung des offenen Verfahrens sei in keiner Weise für sie nachvollziehbar. Da die Antragsgegnerin der Rüge nicht abgeholfen hat, leitete die Antragstellerin am 4.3.2008 ein Nachprüfungsverfahren ein.
Die Antragstellerin hat beantragt,
1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Aufhebung des Vergabeverfahrens Offenes Verfahren nach VOB, Bau der Verkehrsanlage Straßenbahnanbindung "Frankfurter Bogen" - Amtsblatt der EU 2007/S 191 - 232879; Az. der Antragsgegnerin VGF 17/07 - zurückzunehmen und das ursprüngliche Verfahren mit dem Stand der Bieterinformation an die Antragstellerin vom 11.2.2008 wieder aufzunehmen.
2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Ausschlussentscheidung ggü. der Antragstellerin zurückzunehmen und die Antragstellerin wieder zum Verfahren zuzulassen,
3. hilfsweise, die geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die von der Vergabekammer festgestellten Rechtsverletzungen zu beseitigen,
4. festzustellen, dass die Antragstellerin in ihren Rechten aus § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist.
Die Antragsgegnerin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.
Die Vergabekammer hat die Nachprüfungsanträge mit Beschluss vom 22.4.2008 zurückgewiesen.
Wegen der Begründung der Entscheidung wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, die meint, die Vergabekammer sei zu Unrecht der Auffassung, sie, die Antragstellerin, hab...