Verfahrensgang
AG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 479 F 7167/18 SO) |
Tenor
I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 10 und Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (Brüssel IIa-VO) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Inwieweit ist der Regelungsmechanismus in Art. 10 und Art. 11 Brüssel IIb-VO beschränkt auf Verfahren im Verhältnis von EU-Mitgliedstaaten zueinander?
Konkret:
1. Gelangt Art. 10 Brüssel IIa-VO zur Anwendung mit der Folge einer fortdauernden Zuständigkeit der Gerichte im bisherigen Aufenthaltsstaat, wenn das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor dem Verbringen in einem EU-Mitgliedstaat (Deutschland) hatte und das Rückführungsverfahren nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen zwischen einem EU-Mitgliedstaat (Polen) und einem Drittstaat (Schweiz) geführt und in diesem Verfahren die Rückführung des Kindes abgelehnt wurde?
Soweit Frage 1 bejaht wird:
2. Welche Anforderungen Sind im Rahmen des Art. 10 lit. b) i) Brüssel IIa-VO an die Darlegung der fortdauernden Zuständigkeit zu stellen?
3. Gelangen Art. 11 Abs. 6 bis 8 Brüssel IIa-VO auch bei Durchführung eines Rückführungsverfahrens nach dem HKÜ im Verhältnis zwischen einem Drittstaat und einem EU-Mitgliedstaat als Zufluchtsstaat zur Anwendung, soweit das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt vor dem Verbringen in einem anderen EU- Mitgliedstaat hatte?
Gründe
I. Das Verfahren betrifft Fragen des Anwendungsbereichs von Art. 10 und 11 Brüssel IIa-VO.
Die Kindeseltern schlossen am 7.3.2013 in Frankfurt am Main die Ehe. Der Vater besitzt die deutsche, die Mutter die polnische Staatsangehörigkeit. Die Kindeseltern lebten zunächst zusammen in Frankfurt am Main (Deutschland). Am 29.6.2013 zog der Vater berufsbedingt in die Schweiz.
Das gemeinsame Kind L, das die deutsche und inzwischen auch die polnische Staatsangehörigkeit besitzt, wurde am 12.11.2014 in X (Schweiz) geboren und lebte von Januar 2015 bis Anfang April 2016 mit der Mutter in Frankfurt am Main.
Der Vater besuchte Mutter und Kind regelmäßig in Deutschland, auch wurden gemeinsame Urlaube verbracht. Unter dem 11.5.2015 bewilligte das Amt für Migration das Gesuch des Vaters um Familiennachzug. Die Mutter erhielt eine befristete Aufenthaltsgenehmigung für die Schweiz, die bis zum 31.12.2019 gültig war.
Am 9.4.2016 verzog die Mutter mit L nach Polen. Dabei meldete die Mutter die gesamte Familie in Frankfurt unter Angabe der Anschrift des Vaters in der Schweiz ab. Im Sommer 2016 bewarb sich die Mutter auf Arbeitsstellen in der Schweiz. Seit November 2016 ist die Mutter in Polen bei der ... tätig.
Zunächst fanden Besuche des Vaters in Polen statt. Ab dem 17.4.2017 verweigerte die Mutter dem Vater den Umgang mit der gemeinsamen Tochter und meldete die Tochter ohne Zustimmung des Vaters in einem Kindergarten in Polen an. Ende Mai 2017 teilte die Mutter dem Vater mit, dass sie mit der Tochter in Polen bleibe.
Mit Antrag vom 7.7.2017 beantragte der Vater über die Schweizer Zentrale Behörde (Bundesamt für Justiz in Bern) die Rückführung des Kindes in die Schweiz. Dieser Antrag wurde mit Beschluss vom 8.12.2017 des Amtsgerichts Krakau Neue Hütte zurückgewiesen mit der Begründung, der Vater habe eine zeitlich unbestimmte Zustimmung zum Umzug der Mutter mit L nach Polen erteilt. Zudem bejahte das Gericht eine schwerwiegende Gefährdung des Kindeswohls im Falle einer Rückführung i.S.d. Art. 13 Abs. 1 b) HKÜ. Der Vater habe die (einmalige) Anwendung von Gewalt gegenüber der Mutter eingeräumt. Die gegen diese Entscheidung gerichtete Berufung des Vaters wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Krakau vom 17.4.2018 (XII Ca 168/18) zurückgewiesen.
Die Mutter leitete mit Antrag vom 27.9.2017 in Polen ein Scheidungsverfahren ein. Im Oktober 2017 meldete die Mutter L bei der Stadtverwaltung X in der Schweiz ab.
Mit Beschluss vom 5.6.2018 vertraute das Bezirksgericht Krakau der Mutter vorläufig die elterliche Sorge für das gemeinsame Kind an und regelte die Unterhaltsverpflichtung des Vaters.
Einen am 29.6.2018 beim deutschen Bundesamt für Justiz in Bonn eingereichten Antrag auf Rückführung des Kindes auf Grundlage des HKÜ verfolgte der Vater nicht weiter.
Im hier gegenständlichen Verfahren beantragte der Vater mit am 13.7.2018 beim Amtsgericht Frankfurt am Main eingegangenem Antrag vom 12.7.2018 unter Ziffer I. die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für das Kind, hilfsweise des Aufenthaltsbestimmungsrechts.
Weiter beantragte der Vater unter Ziffer II., die Mutter zu verpflichten, das Kind ab Wirksamkeit des Beschlusses zum Vater in die Schweiz zurückzuführen.
Der Vater trägt vor, die Kindeseltern hätten im Frühjahr 2015 vereinbart, mit L künftig in der Schweiz zu leben. Im April 2016 habe die Mutter beschlossen, f...