Leitsatz (amtlich)

›Das Strafvollzugsgesetz ermächtigt nur zur optischen und akustischen Überwachung, d.h. zum Mithören von Telefongesprächen, die der Gefangene mit der Außenwelt führt, nicht jedoch zur Speicherung von Verbindungsdaten und Gesprächsinhalten.‹

 

Verfahrensgang

LG Gießen (Aktenzeichen 2 StVK -Volz. 1333/02)

LG Gießen (Aktenzeichen 2 StVK -Volz. 1334/02)

LG Gießen (Aktenzeichen 2 StVK -Volz. 1332/02)

 

Gründe

Der Gefangene verbüßt eine langjährige Freiheitsstrafe in der JVA B.. Die Anstalt hatte in je einem gesonderten Anstaltsraum in jedem Flügel je zwei Kartentelefone installiert.

Nach der in dieser Anstalt früher geltenden Hausordnung durften die Gefangenen -so auch der Strafgefangene M.- bis zu drei angemeldete Telefonnummern unter Benutzung dieser Telefone anrufen. Geführte Telefonate wurden hinsichtlich ihrer Zeitdauer, des jeweiligen Gesprächspartners und des Gesprächsinhalts durch mindestens einen Bediensteten der Anstalt optisch und akustisch überwacht.

Durch Aushang an den Telefongeräten am 28.8.2002 und durch Veröffentlichung in der hausamtlichen Mitteilung am 30.8.2002 unterrichtete die Anstaltsleitung die Gefangenen, auch den Antragsteller, davon, dass ab dem 1.9.2002 alle Telefonate aufgezeichnet würden und später ausgewertet werden könnten; jeder Gefangene könne seinen jeweiligen Gesprächspartner gem. § 32 StVollzG hiervon in Kenntnis setzen. In der Folgezeit verfuhr die JVA entsprechend dieser Verfügung. Es wurden durch die in den Kartentelefonen neu installierte Anlage das Datum, Uhrzeit, Gesprächsbeginn, Gesprächsende und der vollständige Gesprächsinhalt aufgezeichnet. Die Datenträger mit diesen Inhalten werden von der Anstalt in einem Tresor für 2-3 Jahre verwahrt. Eine "Auswertung" (nachträgliches Abhören der Bänder) findet nach Vortrag der Anstalt grundsätzlich nicht statt, sondern nur bei "konkretem Verdacht auf strafrechtlich relevante Vorgänge".

Mit am 4.9.2002 eingegangenem Antrag auf gerichtliche Entscheidung beantragte der Strafgefangene, der JVA zu untersagen,

1. seine privaten Telefongespräche aufzuzeichnen

2. seine Telefonate mit seinem Verteidiger aufzuzeichnen oder abzuhören

3. die Kartentelefonanlagen abzureißen, abzubauen oder sonst wie außer Betrieb

zu setzen.

Die JVA beantragte,

die Anträge zurückzuweisen.

Sie trug u.a. vor, Personalmangel sei einer der Gründe für die Installierung der neuen, die genannten Aufzeichnungen erlaubenden Anlage gewesen. Eventuellen Bedenken von Gefangenen gegen die neue Telefonanlage werde dadurch Rechnung getragen, dass Gespräche mit dem Verteidiger unüberwacht und sonstige Gespräche, wenn auch nur in begründeten Fällen, überwacht durch Bedienste des Sozialdienstes von Telefonapparaten geführt werden könnten, die nicht an die Anlage angeschlossen seien, mithin auch nicht aufgezeichnet würden.

Die Strafvollstreckungskammer hat die Anträge des Strafgefangenen (zu Recht) dahin ausgelegt, dass er zunächst Aufhebung der Verfügung vom 28.8./30.8.2003 begehre, soweit darin die Aufzeichnung der Gesprächsinhalte der von ihm, dem Strafgefangenen, (ergänze: von den Kartentelefonen) geführten Gespräche und die Überwachung seiner Gespräche mit seinem Verteidiger angeordnet wird. Diesen Anträgen hat sie mit dem angefochtenen Beschluss stattgegeben (wobei die strikte Beschränkung des Aufhebungs-Ausspruches auf die den Strafgefangenen M. betreffenden Telefonate jedenfalls aus den Gründen deutlich wird). Die Unterlassungsbegehren des Strafgefangenen hat sie als unzulässig verworfen.

Der Anstaltsleiter wendet sich mit seiner Rechtsbeschwerde gegen die Aufhebung seiner Verfügung vom 28.8./30.8.2003. Der Gefangene verfolgt mit seiner Rechtsbeschwerde seinen Antrag zu 3. weiter.

Die form- und fristgerecht eingelegte und mit der Sachrüge in gleicher Weise begründete Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt erfüllt auch die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 I StVollzG. Denn die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung ist, soweit sie die Anstalt beschwert, zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Obergerichtliche Entscheidungen zur Frage der Zulässigkeit von Aufzeichnungen von Telefonaten, die Gefangenen mit Personen außerhalb der Anstalt führen, auf Datenträger sind -soweit ersichtlich- bisher nicht ergangen.

Die Rechtsbeschwerde des Anstaltsleiters erweist sich jedoch als unbegründet.

Die Hausverfügung vom 28.8./30.8.2002 stellt als (Neu-)Regelung der Nutzung bereits langfristig installierter Kartentelefone durch die Gefangenen eine Allgemeinverfügung dar, die gegenüber dem einzelnen Gefangenen auch ohne Hinzutreten eines umsetzenden Einzelaktes unmittelbare rechtliche Wirkung entfaltet (vgl. Senat, NStZ 2001, 286 = StV 2001, 469 = ZfStrVo 2001, 249 mzwN). Dies gilt umso mehr, als sie für den Strafgefangenen M., der von ihm erworbene Telefonkarten nach der früher gültigen Regelung nutzen konnte, was die Aufzeichnung der Telefonate (und die darin zugleich liegende Überwachung von Verteidigergesprächen) anbelangt, eine Umgestalt...

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