Entscheidungsstichwort (Thema)
Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen für eine berechtigte Ablehnung eines Rechtshilfeersuchens auf Zeugenvernehmung durch ein gleichgeordnetes Gericht.
2. Ein Rechtshilfeersuchen auf Zeugenvernehmung darf vom ersuchten Gericht nicht allein deshalb wegen Rechtsmissbräuchlichkeit abgelehnt werden, weil es die Voraussetzungen für eine Beweiserhebung nach § 375 Abs. 1 ZPO als nicht gegeben erachtet. Diese Beurteilung obliegt vielmehr dem ersuchenden Prozessgericht.
Normenkette
GVG § 158 Abs. 1; ZPO § 375 Abs. 1
Verfahrensgang
AG O1 (Beschluss vom 23.12.2010) |
Tenor
Der Beschluss des AG O1,..., vom 23.12.2010 wird aufgehoben.
Das AG O1,..., hat dem Rechtshilfeersuchen des AG O2 vom 4.10.2010 zu entsprechen.
Gründe
I. Das AG O2 (ersuchendes Gericht) beantragt die Entscheidung des OLG über ein Rechtshilfeersuchen auf Vernehmung einer Zeugin, welches es an das AG O1/... (ersuchtes Gericht) gerichtet hat und dessen Ausführung von diesem Gericht abgelehnt wird.
In dem Rechtsstreit, in welchem das Rechtshilfeersuchen ergangen ist, nimmt die Klägerin den Beklagten wegen ehrverletzender Äußerungen auf Schadensersatz in Anspruch. Das ersuchende Gericht hat durch Beschluss vom 4.10.2010 die Vernehmung der Zeugin Z1 durch das für deren Wohnort zuständige Gericht angeordnet. Die Zeugin wohnt in O1 in einer Straße, die im Bezirk des AG O1/... liegt. Die Zeugin war zu einer vorausgegangenen Verhandlung des ersuchenden Gerichts geladen worden, aber nicht erschienen. Die 65-jährige Zeugin hat zwei ärztliche Atteste eingereicht (Bl. 98 und 104), nach denen sie als Folge multipler Operationen an schweren körperlichen Erkrankungen und zudem an einer chronischen psychiatrischen Erkrankung leide. Die körperliche und emotionale Belastbarkeit sei gering und längere Reisen seien ihr nahezu unmöglich.
Das ersuchte Gericht hat das Rechtshilfeersuchen abgelehnt, weil das Ersuchen rechtsmissbräuchlich und willkürlich sei.
Die Atteste belegten keine Reiseunfähigkeit der Zeugin. Ferner dauere eine Anreise des ersuchenden Gerichts zur Wohnung der Zeugin nur unwesentlich länger als die Anreise vom ersuchten Gericht dorthin. Dass der Zeitaufwand für die Vernehmung durch das ersuchte Gericht etwas geringer sei, sei jedoch irrelevant, da es am Schluss nicht über den Rechtsstreit entscheide und damit die Vernehmung durch den ersuchten Richter nicht gleichermaßen "zielgenau" durchgeführt werden könne.
Wegen der näheren Begründung im Einzelnen wird auf den Beschluss vom 23.12.2010 verwiesen.
Das ersuchende Gericht hat darauf hin die Akte mit dem Antrag nach § 159 Abs. 1 S. 1 GVG dem OLG vorgelegt. Es weist u.a. darauf hin, dass zwischen dem Wohnort der Zeugin und dem ersuchenden Gericht eine Strecke von 30 km zurückzulegen sei, für welche mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine bis eineinhalb Stunden benötigt würden, während die Entfernung vom ersuchten Gericht nur drei Kilometer betrage und der Wohnort der Zeugin mit öffentlichen Verkehrsmitteln in rund 10 Minuten erreichbar sei.
II. Auf den nach § 159 GVG zulässigen Antrag des AG O2 auf gerichtliche Entscheidung über das Rechtshilfeersuchen war auszusprechen, dass das AG O1 -... - zur Ausführung der Rechtshilfe verpflichtet ist.
Das AG O1 -... - darf nach § 158 Abs. 1 GVG das Ersuchen nicht ablehnen. Eine Ausnahme von dieser Bindung an das Ersuchen besteht, abgesehen von dem hier nicht gegebenen Fall des Ersuchens um eine dem ersuchten Gericht verbotene Rechtshandlung (§ 158 Abs. 2 S. 1 BGB), nur dann, wenn kein sachlicher Grund für die Durchführung einer Rechthilfe gegeben ist (dazu unter 1.) oder wenn das Rechtshilfeersuchen aus anderen Gründen offensichtlich rechtsmissbräuchlich ist (dazu unter 2.). Beide Ausnahmetatbestände sind hier nicht gegeben.
1. Das Rechtshilfeersuchen eines gleichgeordneten Gerichts kann abgelehnt werden, wenn ein Grund für eine Rechtshilfe, also die Ausführung der Rechtshandlung durch das ersuchte anstelle des ersuchenden Gerichts, nicht besteht. Dies ist der Fall, wenn entweder die erbetene Rechtshilfe nicht außerhalb des Bezirkes des ersuchenden Gericht zu erfolgen hat oder in gleicher Weise ohne Mehraufwand durch das ersuchende Gericht ausgeführt werden könnte (Kissel/Mayer, GVG, 6. Aufl., § 158 Rz. 22; Zimmermann in MünchKomm/ZPO, 2. Aufl., § 158 GVG Rz. 9; Zöller/Lückemann, ZPO, 28. Aufl., § 156 GVG Rz. 2).
Beides ist hier nicht der Fall. Der Wohnort der zu vernehmenden Zeugin liegt zunächst einmal im Bezirk der ... des AG O1, also nicht im Bezirk des ersuchenden Gerichts. Der Wohnort der Zeugin liegt darüber hinaus eindeutig in erheblich größerer Entfernung vom ersuchenden als vom ersuchten Gericht. Die ...-Straße, in der die Zeugin wohnt, liegt entgegen der Annahme des ersuchten Gerichts nicht im O1er Stadtteil A, welcher nur wenige Kilometer von der Grenze zum Bezirk des AG O2 gelegen wäre, sondern im Stadtteil B. Vom Gebäude der ... zur ...-Straße beträgt die Autoroute je nach Fahrstrecke zwischen 3,1 ...