Entscheidungsstichwort (Thema)
Wohnungseigentumssache: Nachteilige bauliche Veränderung durch Balkonverglasung
Verfahrensgang
AG Hochheim (Aktenzeichen 4 UR 61/92) |
LG Wiesbaden (Aktenzeichen 4 T 365/93) |
Tenor
Die sofortige weitere Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten des Verfahrens der weiteren Beschwerde haben die Antragsgegner zu tragen; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Wert: 4.000,00 DM.
Gründe
Die zulässige sofortige weitere Beschwerde der Antragsgegner ist nicht begründet. Der angefochtene Beschluß beruht nicht auf einer Gesetzesverletzung, worauf allein er nachzuprüfen war. Rechtsfehlerfrei haben die Vorinstanzen die Antragsgegner zur Beseitigung der Balkonverglasung verpflichtet, weil diese eine auch die Antragstellerin benachteiligende bauliche Veränderung darstellt, die nur einstimmig beschlossen werden kann (§ 22 I WEG; OLG Frankfurt OLGZ 85, 48; BayObLG WEZ 87, 336; OLG Zweibrücken WEZ 87, 357). Die verfahrensrechtlichen Beanstandungen der Antragsgegner sind nicht gerechtfertigt.
Soweit die Antragsgegner deswegen die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Landgerichts rügen, weil der Vorsitzende der Bescherdezivilkammer blind ist (§§ 27 I 2 FGG, 551 Nr. 1 ZPO), kann dem vorliegend nicht gefolgt werden.
Es fehlt an Vorschriften darüber, ob und inwieweit Richter, die an körperlichen Gebrechen leiden, geeignet und fähig sind, ihr Amt auszuüben. Diese Frage wird für den blinden Richter im Strafverfahrensrecht im Hinblick auf die §§ 261, 338 Nr. 1 StPO kontrovers diskutiert (verneinend für den Beisitzer im Falle des Augenscheins: BGH NJW 87, 1210; verneinend für den Vorsitzenden der erstinstanzlichen Strafkammer: BGH NJW 88, 1333 = NStZ 88, 374 mit zust. Anm. von Fezer; bejahend für den Vorsitzenden der Großen Berufungsstrafkammer: OLG Zweibrücken MDR 91, 1083 mit zust. Anm. von Schulze; OLG Zweibrücken MStZ 92, 50; bejahend unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten; BVerfG MStZ 92, 246; bejahend Schulze MDR 88, 736). Im Zivilrecht sind dagegen nur wenige den blinden Richter betreffende Entscheidungen bekannt geworden. Das RG (RGZ 124, 153) hat die Mitwirkung eines blinden Richters unter den gegebenen Umständen für zulässig gehalten. Das OLG Frankfurt (MDR 54, 368) hat gegen die Beteiligung eines blinden Richters im Beschwerdeverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit keine Bedenken erhoben. Der BGH (BGHZ 38, 347) hat schließlich in einer Entscheidung dazu, ob ein Blinder zum Notar bestellt werden kann, auch ausgeführt, daß ein blinder Richter seine Aufgabe dann nicht mehr wahrnehmen kann, wenn er sich einen auf persönlicher Wahrnehmung beruhenden Eindruck vom Aussehen einer Person oder Sache machen muß.
Nach Auffassung des Senats kann auch im Falle einer Augenscheinseinnahme nicht generell davon ausgegangen werden, daß der blinde Richter an der Mitwirkung gehindert sei. Es ist vielmehr deswegen eine differenzierende Betrachtung des Einzelfalls geboten, weil der Blinde erfahrungsgemäß den Verlust des Augenlichts durch die Stärkung und Verfeinerung der anderen Sinne und die Zunahme des Gedächtnisses ausgleichen kann (BGHZ 38, 347/348; OLG Frankfurt MDR 54, 368). Schulze (MDR 88, 736/741) hat eindrucksvoll dargelegt, daß und wie auch die Augenscheinseinnahme gestaltet werden kann, so daß die Mitwirkung eines blinden Richters nicht ausgeschlossen ist. Insoweit kommt nicht nur – beim Kollegialgericht – die Übertragung des Augenschein auf den beauftragten Richter (§§ 15 FGG, 372 II ZPO), sondern bei der Vorlage von Lichtbildern auch deren Beschreibung in Betracht. Die Grenze ist nach Meinung des Senats dort zu ziehen, wo die Betrachtung mit eigenen Augen für die Entscheidungsfindung unerläßlich ist, weil die Wahrnehmung mit dem Auge ebenso bedeutsam ist wie sonst die mit dem Gehör (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 13. Aufl. § 7 Rn. 43; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 7 Rn. 18; Schulze MDR 88, 736/743). Diese Grenze ist vorliegend nicht erreicht worden.
Die Vorinstanzen konnten sich auf eine gesicherte Rechtsprechung beziehen, wonach die Balkonverglasung als bauliche und optische Veränderung für die betroffenen Wohnungseigentümer regelmäßig auch nachteilig ist (vgl. zuletzt BayObLG B. v. 23.07.1992 – 2 Z BR 22/92 – in Deckert ETW 2, 1774; B. v. 22.10.1992 – 2 Z BR 86/92 – in Deckert ETW 2, 1859). Das Amtsgericht hat eine Augenscheinseinnahme durchgeführt und aufgrund deren in den Beschlußgründen festgestellt, daß durch die Balkonverglasung der Antragsgegner, der einzigen am Gebäude, eine erhebliche optische Beeinträchtigung gegeben sei. Im Beschwerdeverfahren haben die Beisitzer der Kammer dem blinden Vorsitzenden das zu den Akten gereichte Foto beschrieben und erläutert, sich damit gleichsam als „Augenscheinsgehilfen” betätigt. Insgesamt gesehen war bei dieser Sachlage der Augenschein im wörtlichen Sinne durch einen dritten sehenden Richter nicht erforderlich, so daß eine fehlerhafte Besetzung des Gerichts hier nicht mit Erfolg gerügt werden kann (§ 551 Nr. 1 ZPO).
Mit dieser Rechtsauffassung w...