Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlagebeschluss zur Zulässigkeit von selektiven Vertriebssystemen, die auf Vertrieb von Luxus- und Prestigewaren gerichtet sind
Normenkette
AEUV § 101
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 31.07.2014; Aktenzeichen 2-3 O 128/13) |
Tenor
1.I. Das Verfahren wird ausgesetzt.
2.II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gem. Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts vorgelegt:
1.1) Können selektive Vertriebssysteme, die auf den Vertrieb von Luxus- und Prestigewaren gerichtet sind und primär der Sicherstellung eines "Luxusimages" der Waren dienen, einen mit Art. 101 Abs. 1 AEUV vereinbaren Bestandteil des Wettbewerbs darstellen?
2.2) Falls die Frage zu 1) bejaht wird:
Kann es einen mit Art. 101 Abs. 1 AEUV vereinbaren Bestandteil des Wettbewerbs darstellen, wenn den auf der Einzelhandelsstufe tätigen Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems pauschal verboten wird, bei Internetverkäufen nach außen erkennbar Drittunternehmen einzuschalten, ohne dass es darauf ankommt, ob im konkreten Fall die legitimen Qualitätsanforderungen des Herstellers verfehlt werden?
3.3) Ist Art. 4 lit b der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 dahingehend auszulegen, dass ein den auf der Einzelhandelsstufe tätigen Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems auferlegtes Verbot, bei Internetverkäufen nach außen erkennbar Drittunternehmen einzuschalten, eine bezweckte Beschränkung der Kundengruppe des Einzelhändlers darstellt?
4.4) Ist Art. 4 lit c der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 dahingehend auszulegen, dass ein den auf der Einzelhandelsstufe tätigen Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems auferlegtes Verbot, bei Internetverkäufen nach außen erkennbar Drittunternehmen einzuschalten, eine bezweckte Beschränkung des passiven Verkaufs an Endverbraucher darstellt?
Gründe
I. Sachverhalt:
1) Die Klägerin ist einer der führenden Anbieter von Luxuskosmetik, so genannter "Depot-Kosmetik", in Deutschland. Sie vertreibt die im Klageantrag aufgeführten Marken im selektiven Vertrieb auf der Grundlage eines so genannten Depotvertrages, den die Klägerin bzw. mit ihr verbundene Gesellschaften in Europa einheitlich verwenden und der um verschiedene Spezialverträge ergänzt wird, welche dazu bestimmt sind, den selektiven Vertrieb der Klägerin auf einer geordneten und alle Aktivitäten erfassenden Grundlage zu organisieren.
Die Beklagte vertreibt seit vielen Jahren als autorisierter Einzelhändler ("Depositär") die Produkte der Klägerin sowohl in stationären Absatzstätten als auch im Internet. Der Internetverkauf erfolgt zum Teil über einen eigenen Internet-Shop und zum Teil über die Plattform "amazon. de". Teil des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertragswerks ist eine Zusatzvereinbarung über den Internetvertrieb, unter deren Ziff. 1 Abs. 3 es heißt:
"Die Führung eines anderen Namens oder die Einschaltung eines Drittunternehmens, für welches die Autorisierung nicht erteilt wurde, ist dem Depositär nicht gestattet."
Die Klägerin hat im März 2012 im Hinblick auf das In-Kraft-Treten der Verordnung (EU) Nr. 330/2010 (im Folgenden: Vertikal-GVO) ihre Depot- und Internet-Zusatzverträge für alle Abnehmer überarbeitet (zum genauen Wortlaut s. Bl. 46 ff d.A.). In dem Annex I zum Depotvertrag ist für Internetverkäufe folgende Regelung vorgesehen:
1.1. Elektronisches Schaufenster
Als Ausnahme der Schranken in Art. 1.3 des Depotvertrages ist der Depositär dazu berechtigt, die Produkte im Internet anzubieten und zu verkaufen. Dies gilt jedoch nur unter der Bedingung, dass der Depositär sein Internet-Geschäft als "elektronisches Schaufenster" des autorisierten Ladengeschäfts führt und dass hierbei der Luxuscharakter der Produkte gewahrt bleibt.
1 ...
2 ...
3. Der Gebrauch einer anderen Geschäftsbezeichnung ist ausdrücklich untersagt. Gleiches gilt für die erkennbare Einschaltung eines Drittunternehmens, welches nicht ein autorisierter Depositär von A ist.
(Fußnote hierzu: "Entsprechend ist es dem Depositär untersagt, mit Dritten eine Kooperation einzugehen, soweit diese Kooperation sich auf den Betrieb der Website richtet und soweit diese Kooperation nach außen sichtbar wird") Die Beklagte hat das neue Vertragswerk nicht unterzeichnet.
Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin unter Berufung auf Ziff. 1.3 der Internet-Zusatzvereinbarung, der Beklagten zu untersagen, die im Klageantrag genannten Markenprodukte über die Plattform "amazon. de" zu vertreiben.
2) Das erstinstanzliche Gericht hat mit Urteil vom 31.07.2014 die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, die vertragliche Regelung, die den Internetvertrieb unter anderem Namen oder unter Einschaltung eines Drittunternehmens verbietet, verstoße gegen § 1 GWB bzw. Art. 101 Abs. 1 AEUV. Das Ziel der Aufrechterhaltung eines prestigeträchtigen Markenimages rechtfertige nach der Entscheidung des Gerichtshofs in der Rechtssache "Pierre Fabre" nicht die Einführung eines solchen - grundsätzlich wettbewerbsbeschränkenden - selektiven Vertriebssystems. Die e...