Entscheidungsstichwort (Thema)
Abbruch der künstlichen Ernährung irreversibel Hirngeschädigter
Normenkette
BGB § 1904 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 2/28 T 129/01) |
AG Frankfurt am Main (Aktenzeichen 47 XVII HAG 977/00) |
Tenor
Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des AG Frankfurt am Main v. 18.7.2001 werden aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Prüfung und Entscheidung an das AG Frankfurt am Main zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 5.000 DM.
Gründe
I. Für die 85jährige Betroffene, die aufgrund eines hirnorganischen Psychosyndroms mit mangelhafter Orientierung und eingeschränkter Gedächtnisleistung in einem Pflegeheim lebte, wurde nach einer Operation wegen einer Schenkelhalsfraktur mit erheblichen Komplikationen durch Beschluss des AG Frankfurt am Main v. 20.10.2000 deren Ehemann als Betreuer für alle Angelegenheiten bestellt. Nach einer zweiten Operation unter Vollnarkose am 5.9.2000 hat sie nach Angaben des Betreuers das Bewusstsein bisher nicht wiedererlangt. Nach Implantierung einer Magensonde (PEG), über die sie seitdem ernährt wird, wurde die Betroffene am 9.10.2000 in das Pflegeheim zurückverlegt.
Der Betreuer beantragte mit Schr. v. 9.6.2001 die Einstellung der künstlichen Ernährung durch die PEG-Sonde und führte zur Begründung aus, er selbst und die beiden gemeinsamen Kinder könnten an Eides Statt versichern, dass es im Hinblick auf frühere Äußerungen keinesfalls dem anzunehmenden Willen der Betroffenen entsprochen hätte, durch Sondenernährung künstlich in einem komatösen Zustand ohne Aussicht auf ein Erwachen gehalten zu werden.
Die vom AG bestellte Verfahrenspflegerin teilte mit Schr. v. 20.6.2001 mit, nachdem sie bei einem Besuch der Betroffenen festgestellt habe, dass mit ihr ein Gespräch zwar nicht möglich sei, sie jedoch auf Berührung und Ansprache reagiere, hänge für sie die Entscheidung von einer ärztlichen Stellungnahme ab, ob ein komatöser Zustand vorliege und mit einer Besserung des Gesundheitszustandes der Betroffenen noch gerechnet werden könne.
Ohne nähere Aufklärung des Sachverhaltes wies das AG mit Beschl. v. 18.7.2001 den auf Erteilung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung der Einstellung der künstlichen Ernährung auszulegenden Antrag des Betreuers zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, eine analoge Anwendung des § 1904 BGB scheide nach Ansicht des Gerichts, das der gegenteiligen Auffassung des Senats im Beschl. v. 15.7.1998 nicht folgen könne, aus. Es sei Sache des Gesetzgebers, den Behandlungsabbruch gesetzlich zu regeln.
Nachdem der vom Betreuer beauftragte Verfahrensbevollmächtigte hiergegen für die Betroffene und den Betreuer Beschwerde eingelegt hatte, schloss sich die Verfahrenspflegerin nunmehr der Auffassung des AG an und trug des Weiteren vor, die Betroffene sei nach ihrem eigenen persönlichen Eindruck nicht komatös. Das LG wies die Beschwerde mit Beschl. v. 11.9.2001 mit der Begründung zurück, es schließe sich den Entscheidungen des LG München I (Beschl. v. 18.12.1999 – 13 T 478/99, NJW 1999, 1788) und des LG Augsburg (Beschl. v. 4.8.1999 – 5 T 2780/99, NJW 2000, 2363) an, wonach eine analoge Anwendung des §1904 BGB entgegen der in Rspr. und Literatur kritisierten Entscheidung des Senates nicht in Betracht komme. Der Antrag des Betreuers sei bereits von dem Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge nicht umfasst. Über lebensbeendende Maßnahmen hätten Ärzte und Angehörige in eigener Verantwortung zu entscheiden. Im Übrigen sei die Frage vom Gesetzgeber zu regeln.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die weitere Beschwerde des Betreuers, der unter Verweisung auf das grundrechtlich geschützte Recht auf Selbstbestimmung die entsprechende Anwendung des § 1904 BGB für erforderlich und notwendig hält.
II. Die zulässige weitere Beschwerde ist auch in der Sache begründet, da die Entscheidung des LG auf einer Verletzung des Gesetzes beruht (§§ 27 Abs. 1, 550 ZPO). Sie führt zur Zurückverweisung der Sache an das AG.
Die Ablehnung der entsprechenden Anwendung des § 1904 BGB durch die Vorinstanzen stellt nach Auffassung des Senats eine Verletzung des Gesetzes dar. Der Senat hat in seinem Beschl. v. 15.7.1998 (OLG Frankfurt, Beschl. v. 15.7.1998 – 20 W 224/98, OLGR Frankfurt 1998, 245 = MDR 1998, 1483 NJW 1998, 2747 = FamRZ 1998, 1137 = BtPrax 1998, 186 = JZ 1998, 1122 = JuS 1998, 1062 – Rpfleger 1998, 424 = FGPrax 1998, 183 = MedR 1998, 1483 = JR 1999, 71) in Übereinstimmung mit dem in einer Strafsache ergangenen Urteil des BGH v. 13.9.1994 (BGH v. 13.9.94 – 1 StR 357/94 BGHSt 40, 257 = MDR 1995, 80 = NJW 1995, 204 = NStZ 1995, 80 = JR 1995, 335) entschieden, dass bei einem irreversibel hirngeschädigten Betroffenen die Entscheidung des Betreuers über den Abbruch der Ernährung durch eine PEG-Magensonde in entsprechender Anwendung des § 1904 BGB der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedarf und als Kriterium für diese Entscheidung maßgeblich auf eine mutmaßliche Einwilligung des Betroffenen abzustellen ist, an deren Feststellung wegen des Lebensschutzes in tatsächli...