Leitsatz (amtlich)
Der nachträglichen Gesamtstrafenbildung im Beschlussverfahren nach § 460 StPO steht nicht entgegen, dass es sich bei der früheren Verurteilung um eine Verwarnung mit Strafvorbehalt handelt.
Verfahrensgang
LG Gießen (Aktenzeichen 4 Ns 107 Js 24220/04) |
Gründe
Das Amtsgericht Nidda verurteilte den Angeklagten am 5. Juli 2005 wegen versuchten Betruges (Tatzeit: ... Oktober 2003) zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 40,-- EUR. Das auf die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten ergangene Urteil des Landgerichts Gießen vom 6. Juli 2006 hob der Senat auf die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 8. März 2007 auf. Nunmehr hat - nach Zurückverweisung der Sache - eine andere Strafkammer des Landgericht Gießen die Berufung des Angeklagten (erneut) mit der Maßgabe verworfen, dass die Höhe eines Tagessatzes auf 30,-- EUR herabgesetzt wurde. Dagegen wendet sich der Angeklagte wiederum mit der Revision, die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützt ist.
Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, soweit es den Schuldspruch und die Rechtsfolgenentscheidung hinsichtlich der abgeurteilten versuchten Betrugstat betrifft. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsbegründung und der Gegenerklärung vom 13. November 2007 hin hat insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Das Landgericht hat es jedoch unterlassen, im Hinblick auf die frühere Verurteilung durch das Amtsgericht Gießen vom 26. Juni 2006 (rechtskräftig seit 13. Juli 2006) eine Gesamtstrafe zu bilden (§ 55 Abs. 1 StGB). In jenem Verfahren war der Angeklagte im Wege des Strafbefehls wegen Betruges in drei Fällen gemäß § 59 StGB verwarnt worden. Die Verurteilung zu einer Gesamtgeldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 25,-- EUR (Einzelstrafen: 30, 20 und 10 Tagessätze) blieb vorbehalten.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts scheidet eine Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB mit der vorbehaltenen Strafe nicht aus, da nach § 59c Abs. 2 StGB für diesen Fall die vorbehaltene Strafe einer erkannten Strafe gleichsteht (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 1991 - 2 StR 339/90 - zit. nach juris). Dieser Rechtsfehler zwingt indessen nicht zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht, weil die Entscheidung über die Bildung der Gesamtstrafe gemäß § 354 Abs. 1b StPO auch im Verfahren nach §§ 460, 462 StPO getroffen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2005 - 4 StR 223/04). Hiervon macht der Senat Gebrauch.
Der nachträglichen Gesamtstrafenbildung im Beschlussverfahren nach § 460 StPO steht nicht entgegen, dass es sich bei der früheren Verurteilung um eine Verwarnung mit Strafvorbehalt handelt (LG Heidelberg, Beschluss vom 19. Januar 2007 - 1 Qs 85/06; LG Flensburg SchlHA 1997, 285; BVerfG NStZ-RR 2002, 330; Deckenbrock/Dötsch NStZ 2003, 346; Gribbohm in LK 11. Aufl. § 59c Rn. 10; Lackner/Kühl, StGB 26. Aufl. § 59c Rn. 3; Stöckel in KMR StPO, Stand: Juni 2007, § 460 Rn. 6). Die Gegenauffassung (vgl. AG Dieburg NStZ 1996, 613; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. § 59c Rn. 2; Groß in MüKo-StGB § 59c Rn. 11; Stree in Schönke/Schröder, 27. Aufl. § 59c Rn. 5; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 460 Rn. 9; Päffgen in SK-StPO § 460 Rn. 4) teilt der Senat nicht. Liegen die Voraussetzungen für die Bildung einer Gesamtstrafe gemäß § 55 StGB vor, muss der Tatrichter diese vornehmen (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 12, 1, 5ff.; BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Anwendungspflicht 4; Tröndle/Fischer aaO § 55 Rn.34 f. m. Nachw.). § 460 StPO erfasst die Fälle, in denen die Gesamtstrafenbildung nach § 55 StGB unterblieben ist (vgl. dazu Meyer-Goßner aaO Rn. 2 m. Nachw.). Das nachträgliche Beschlussverfahren dient der Sicherung des Gesamtstrafenprinzips. Mit ihm soll erreicht werden, dass der Angeklagte durch die getrennte Aburteilung keinen Nachteil erleidet und keinen Vorteil erlangt (BGHSt 35, 208, 214; BVerfG aaO). Aufgrund der in § 59c Abs. 2 StGB normierten Gleichstellung hat der Tatrichter bei der Bildung der Gesamtstrafe nach § 55 StGB auch vorbehaltene Strafen mit einzubeziehen (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Januar 1991 - 2 StR 339/90 - zit. nach juris). Tut er dies nicht, ist die gebotene Gesamtstrafenbildung schon dem Wortlaut des § 460 StPO nach außer Betracht geblieben, ohne dass es dazu einer Anpassung dieser Vorschrift durch den Gesetzgeber bedürfte (so aber offenbar Tröndle/Fischer aaO § 59c Rn. 2).
Für diese Auslegung spricht schließlich auch die Neuregelung des § 354 Abs. 1b StPO. Da der Sonderfall der vorbehaltenen Strafe auch dort - wie in § 460 StPO - nicht erwähnt ist, müsste der Senat die Sache wegen des Rechtsfehlers bei der Gesamtstrafenbildung ansonsten an den (neuen) Tatrichter zurückverweisen. Dieser hätte dann unter Anwendung der §§ 55, 59c Abs. 2 StGB eine Gesamtstrafe mit der Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe zu bilden. Dies liefe indessen dem Zweck von § 354 Abs. 1 b StPO zuwider, Zurückverweisungen an den Tatrichter zu vermeiden und durch Verweisung auf das bewährte Beschlussverfahren eine ...