Orientierungssatz
Eine Geschwindigkeitsmessung führt selbst wenn sie unter bewusster Umgehung von verwaltungsinternen Richtlinien ergangen ist, nicht per se zu einer willkürlichen Messung und damit zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses.
Verfahrensgang
AG Gießen (Entscheidung vom 19.07.2013; Aktenzeichen 512 OWi 802 Js 3704/13) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird der Beschluss des Amtsgerichts Gießen vom 19. Juli 2013 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die gleiche Abteilung des Amtsgerichts Gießen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Regierungspräsidium Kassel hat mit Bußgeldbescheid vom 3. Januar 2013 gegen den Betroffenen wegen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 33 km/h eine Geldbuße von 160,00 EUR festgesetzt, sowie ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet. Auf den vom Betroffenen eingelegten Einspruch hin, hat das Amtsgericht Gießen ihn durch den angegriffenen Beschluss gemäß § 72 OWiG freigesprochen. Das Amtsgericht Gießen hat seinen Freispruch i.E. damit begründet, dass die durchgeführte Geschwindigkeitsmessung der Stadt O1 willkürlich ist und deren Ergebnis deswegen nicht verwertet werden darf.
Die hiergegen erhobene Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Gießen führt auf Sachrüge hin zur Aufhebung des Beschlusses.
II.
Eine Geschwindigkeitsmessung führt selbst wenn sie unter bewusster Umgehung von verwaltungsinternen Richtlinien ergangen ist, nicht per se zu einer willkürlichen Messung und damit zur Unverwertbarkeit des Messergebnisses.
Mit dem Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums in Kassel vom 3. Januar 2013 wurde dem Betroffenen vorgeworfen, am 13. November 2012 um 7:58 Uhr in O1, Ortsteil O2, Xstraße in Höhe Hausnummer ... als Führer des PKWs mit dem amtlichen Kennzeichen ... die dort innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h - nach Abzug der Toleranz - um 33 km/h überschritten zu haben.
Die mit dieser Messanlage gewonnenen Ergebnisse, sind nach Ansicht des Amtsgerichts deswegen unverwertbar, weil die Stadt O1 die Einrichtung dieser stationären Messanlage unter bewusstem Verstoß gegen den Erlass des Hessischen Ministeriums des Inneren und für Sport - LPP 23 Mi-66k 12 - vom 6. Januar 2006 (StAnz. 2006, 286), welcher die Verkehrsüberwachung durch örtliche Ordnungsbehörden und Polizeibehörden regelt, begangen hat. Das Amtsgericht folgert aus diesem bewussten Verstoß gegen die Erlasslage, dass die Aufstellung der Messanlage damit willkürlich und in Folge dessen die Verwertung des durch die Messanlage gewonnenen Beweismittels unverwertbar ist.
Dieser Ansatz greift zu kurz. Er berücksichtigt nicht ausreichend die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Beweiserhebungsverbot und Beweisverwertungsverbot (vgl. BVerfG NJW 2000, 3557 m.w.N.).
Das Amtsgericht hat vorliegend zutreffend dezidiert dargelegt, dass die Stadt O1 die verwendete Messanlage unter Verstoß gegen die Erlasslage aufgestellt hat, namentlich es bewusst unterlassen hat, die Hessische Polizeischule/Polizeiakademie Hessen zu der geplanten Errichtung an der gegenständlichen Örtlichkeit anzuhören und insbesondere die verkehrstechnische Notwendigkeit einer stationären Messanlage mit der Polizei abzustimmen. Dass das Amtsgericht aus den im Einzelnen dargelegten wechselseitigen Schreiben und insbesondere der Stellungnahme der Polizeiakademie Sachbereich Verkehrssicherheit vom 25. April 2013, in dem ausdrücklich eine erfolgte Einbindung in die Prüfung zur Notwendigkeit einer derartigen Messanlage verneint wird, den Schluss zieht, dass die Stadt O1 die bei vergleichbaren anderen Anlagen in ihrem Gemeindegebiet der Erlasslage entsprechend, die Polizeiakademie eingebunden hat, hier bewusst unter Umgehung der bekannten Erlasslage gehandelt hat, ist wenn auch nicht zwingend, ein möglicher und da tatsachenfundiert begründet, vom Rechtsbeschwerdegericht hinzunehmen Schluss.
Das Amtsgericht hat allerdings übersehen, dass hier der bewusste Verstoß gegen verwaltungsinterne Richtlinien schon nicht automatisch den Vorwurf der Willkür nach sich zieht (Beweiserhebungsverbot) und in der Folge erst recht nicht zwingend zur Unverwertbarkeit von Beweismitteln führt (Beweisverwertungsverbot).
So kann von willkürlicher Umgehung von verfahrensinternen Regelungen nur dann ausgegangen werden, wenn ausgeschlossen ist, dass ein regelrechtes Verhalten die ergriffene Maßnahme nicht ermöglicht hätte. Dabei ist der Sinn und Zweck der missachteten Regelung in die Abwägung mit einzubeziehen. Die Anhörungs- und Abstimmungsnotwendigkeit mit der Polizeischule/Polizeiakademie Hessen, gegen die hier verstoßen wurde, dient der Feststellung einer verkehrstechnischen Notwendigkeit zur Errichtung einer stationären Messanlage. Bei bewusster Umgehung von verwaltungsinternen Richtlinien, ist deshalb in einer zweiten Stufe zu prüfen, ob diese Messanlage hätte aufgestellt werden können, wenn sie den Richtlinien entsprechend vorher...