Leitsatz (amtlich)
1. Die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe kommt nach der Konzeption des Gesetzes dabei nur ausnahmsweise in Betracht, wenn sich dies aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist. Die kurze Freiheitsstrafe ist in diesem Sinne "ultima ratio" (Bestätigung von OLG Frankfurt, Beschl. v. 27.04.2005 - 2 Ss 78/05, [...] [Rn. 4]) und OLG Frankfurt, StV 1997, 252 [253]).
2. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass das Gericht eine zutreffende Auslegung der maßgeblichen Rechtsbegriffe des § 47 StGB vorgenommen hat. Es muss darlegen, welche besonderen Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters vorliegen, die nach seiner Auffassung kurzfristige Freiheitsstrafen zur Verteidigung der Rechtsordnung oder zur Einwirkung auf den Täter unerlässlich machen.
Normenkette
StGB § 47
Verfahrensgang
LG Gießen (Entscheidung vom 12.05.2016; Aktenzeichen 3 Ns 202 Js 38222/14) |
Tenor
I.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 12.05.2016 im Rechtsfolgenausspruch mit den zuzuordnenden Feststellungen einschließlich der Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung aufgehoben.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass im Urteilstenor die Angabe "einfacher vorsätzlicher" gestrichen wird.
II.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Gießen zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Stadt1 hat den Angeklagten am 28.05.2015 vom Vorwurf der Körperverletzung freigesprochen.
Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Gießen das vorbezeichnete Urteil am 12.05.2016 aufgehoben und den Angeklagten wegen "einfacher vorsätzlicher Körperverletzung" zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt.
Mit seiner hiergegen gerichteten, form- und fristgerecht eingelegten Revision (§§ 333, 341 Abs. 1, 344, 345 StPO) rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft Stadt2 hat in ihrer Stellungnahme vom 18.08.2016 beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen und den Tenor anders zu fassen.
II.
Das Rechtsmittel ist aus den Gründen der Antragsschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen den Schuldspruch richtet. Jedoch hat der Strafausspruch keinen Bestand.
Das Landgericht hält die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe zur Verteidigung der Rechtsordnung für unerlässlich (§ 47 Abs. 1 StGB). Der Angeklagte sei in der Haftsituation durch Geldstrafen nicht erreichbar. Zudem verlange die Sicherheit und Ordnung der Haftanstalt die Verhängung deutlicher Sanktionen.
Damit sind die Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB indes nicht ausreichend belegt.
Zwar hat die Frage, ob eine Freiheitsstrafe unerlässlich ist, in erster Linie der Tatrichter zu beurteilen. Die Urteilsgründe müssen jedoch erkennen lassen, dass das Gericht eine zutreffende Auslegung der maßgeblichen Rechtsbegriffe des § 47 StGB vorgenommen hat. Es muss darlegen, welche besonderen Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters vorliegen, die nach seiner Auffassung kurzfristige Freiheitsstrafen zur Verteidigung der Rechtsordnung oder zur Einwirkung auf den Täter unerlässlich machen. Die Verhängung einer kurzzeitigen Freiheitsstrafe kommt nach der Konzeption des Gesetzes dabei nur ausnahmsweise in Betracht, wenn sich dies aufgrund einer Gesamtwürdigung aller die Tat und den Täter kennzeichnenden Umstände als unverzichtbar erweist (vgl. nur OLG Frankfurt, Beschl. v. 27.04.2005 - 2 Ss 78/05, [...] [Rn. 4]). Die kurze Freiheitsstrafe ist in diesem Sinne "ultima ratio" (Senat, StV 1997, 252 [253]).
Diesem Maßstab wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Vorstrafen des Angeklagten werden - gerade auch zu den möglicherweise einschlägigen Vorverurteilungen - zu pauschal dargestellt, um aus ihnen die für die Gesamtwürdigung notwendigen Informationen ableiten zu können. Dies macht die daran anknüpfende Rechtsfolge, die der gesetzgeberischen Konzeption widerstreitet, umso weniger plausibel, als die möglicherweise einschlägige Tat (der genaue Tag ist im Urteil nicht festgestellt) etwa vier Jahre (vor der Tat vom 20.11.2014) zurückliegen dürfte.
III.
Auf die Revision des Angeklagten war daher der Rechtsfolgenausspruch des angefochtenen Urteils einschließlich der zuzuordnenden Feststellungen aufzuheben (§ 349 Abs. 4 StPO). Die weitergehende Revision war als unbegründet zu verwerfen (§ 349 Abs. 2 StPO).
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Gießen zurückverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO), die auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben wird.
Fundstellen
Dokument-Index HI10311984 |