Entscheidungsstichwort (Thema)
private Dienstleister. Herrin des Verfahrens. Zurückweisung
Leitsatz (amtlich)
1. Verkehrsüberwachung gehört zum Kernbereich staatlicher Hoheitsaufgaben. Sie ist der Polizei und den Ordnungsbehörden übertragen.
2. Die Hinzuziehung privater Dienstleister bei der Verkehrsüberwachung ist nur für die Tätigkeiten zulässig, die die Herrschaft über die Messung nicht betreffen.
3. Die Umwandlung der digitalen Messdaten (sog. Falldateien) in die lesbare Bildform (Messbild mit Messdaten) und die Bewertung dieser Bilddatei (= Auswertung), muss zwingend durch die Behörden erfolgen.
4. Die Bußgeldbehörde als Ausstellerin des Bußgeldbescheides übernimmt die Garantie der Authentizität und Integrität zwischen digitaler Falldatei und lesbarer Bildform (Messbild mit Messdaten). Sie ist Grundvoraussetzung für die Prozesserleichterungen gem. § 256 Abs. 1 StPO im standardisierten Messverfahren.
5. Sollte dies erkennbar nicht gewährleistet sein, kann das Gericht das Verfahren nach § 69 Abs. 5 OWiG zur Aufklärung an die Bußgeldbehörde zurückverweisen.
Normenkette
OWiG § 47; StVG § 26 Abs. 1; OWiG § 69 Abs. 5; MessEV § 23; MessEG § 46
Verfahrensgang
AG Weilburg (Entscheidung vom 16.12.2015; Aktenzeichen 40 OWi - 6 Js 11785/15) |
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Limburg a. d. Lahn wird das Urteil des Amtsgerichts Weilburg vom 16. Dezember 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde und die dem Betroffenen insoweit entstandenen notwendigen Auslagen, an das Amtsgericht Weilburg zurückverwiesen.
Gründe
Nach den Urteilsgründen ist dem Betroffenen im Bußgeldbescheid des Regierungspräsidiums ... vom 03.07.2015 vorgeworfen worden, am ... April 2015 um 19.41 Uhr die Bundesstraße ... in Stadt1, Abs. 036 km 3,0 in Fahrtrichtung Stadt2 als Führer des Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen ... befahren zu haben und dort von der stationären Geschwindigkeitsüberwachungsanlage des Typs ESO ES 3.0 mit einer Geschwindigkeit von 123 Stundenkilometern abzüglich Toleranz gemessen worden zu sein. Das Amtsgericht hat den Betroffenen aus tatsächlichen Gründen mit der Begründung freigesprochen, die Frage, wie schnell der Betroffene zur Tatzeit tatsächlich gefahren sei, lasse sich nur durch Verwertung der vorliegenden Messbilder beantworten; diesbezüglich bestehe allerdings sowohl ein Beweiserhebungs- als auch ein Beweisverwertungsverbot.
Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergeben sich folgende Feststellungen des Amtsgerichts: Danach hat die Gemeinde Stadt1 bei der Firma B ein Geschwindigkeitsmessgerät gemietet, welches im Wechsel in Stadt1 innerorts in der ... straße und außerorts auf der Bundesstraße ... verwendet und zu diesem Zweck jeweils umgesetzt wird. Der Aufbau der Messanlage erfolgte jeweils durch den Mitarbeiter der Firma B C im Beisein der bei der Gemeinde Stadt1 für die Geschwindigkeitsmessung zuständigen Mitarbeiterin D. Die in der Messaufbauskizze angegebenen Abstände wurden durch Herrn C vermessen, ohne dass eine nochmalige Kontrolle durch Frau D erfolgte. Das bei der Akte befindliche Messprotokoll wurde komplett durch Herrn C vorbereitet und nur noch von Frau D unterschrieben, ohne dass diese Eich- und Sicherungsmarken der Messvorrichtung oder den Sensor mittels Neigungswasserwaage überprüfte. Nach Abschluss der Messung entnahm Frau D gemeinsam mit Herrn C die Messrohdaten und überspielte diese auf einen USB-Stick. Diesen USB-Stick nahm der Mitarbeiter der Firma B an sich; zu diesem Zeitpunkt verblieben keinerlei Rohdaten der Messung bei der Gemeinde Stadt1. Der Mitarbeiter C der Firma B führte sodann die "Auswertung" durch und gab "nach durchgeführter Arbeit die Messdaten der Gemeinde Stadt1 zurück". Eine eigene Auswertung der Messdaten durch die Gemeinde fand nicht statt und war auch nicht möglich, da die Gemeinde zum Zeitpunkt der Messung nicht über die für die Auswertung notwendige Software verfügte.
Nach Rückgabe der Daten wurde lediglich durch die Gemeinde geprüft, ob auf dem Messbild der Fahrer und das Kennzeichen zu erkennen waren. "Sämtliche übrige Auswertung erfolgte durch die Privatfirma." Ob es sich bei den ausgewerteten Messdaten tatsächlich um diejenigen der durchgeführten Messung handelte, war für die Gemeinde, die für jede technisch verwertbare Auslösung 7,00 € brutto an die Firma B zu zahlen hat, nicht mehr nachprüfbar.
Das Amtsgericht sieht in der fehlenden Endauswertung der Originaldatensätze durch die Gemeinde einen Verstoß gegen den Erlass des Hessischen Ministeriums für Inneres und Sport vom 05.02.2015, in Kraft seit 24.02.2015, und leitet aus dem fehlenden Verbleib von Rohmessdaten bei der Gemeinde, der nach Auffassung des Amtsgerichts dazu führt, dass keine Überprüfung mehr dahin erfolgen könne, ob die ursprüngliche Datei der Messanlage nach der Vorauswertung verändert worden sei oder überhaupt die ausgewertete Datei inhaltlich der ursprünglichen entsprochen habe, hinsichtlich der Messbilder ein Beweiser...