Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Anordnung des paritätischen Wechselmodells im Rahmen des Umgangsrechts
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anordnung eines paritätischen Wechselmodells ist als eine Regelung des Sorgerechts anzusehen.
2. Ordnet das Familiengericht im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens ein paritätisches Wechselmodell an, ist deswegen ungeachtet der angewendeten Vorschriften von einer sorgerechtlichen Regelung auszugehen, die nach § 57 S. 2 Nr. 1 FamFG der Anfechtung unterliegt (entgegen BGH XII ZB 601/15).
Normenkette
BGB §§ 1671, 1684; FamFG § 57
Tenor
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Kassel vom 18. Oktober 2019 aufgehoben.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Mutter und der Vater der hier betroffenen Kinder haben sich im Jahr 2018 in einem Termin, der in den gleichzeitig geführten Verfahren zu Sorgerecht (.../18 ...) und Umgangsrecht (.../19 ...) unter Verfahrensverbindung zur gemeinsamen Verhandlung stattfand, über die Betreuung ihrer beiden damals ein- und fünfjährigen Söhne geeinigt und ein paritätisches Wechselmodell eingerichtet. Die Kinder sind danach Montag und Dienstag beim Vater, wechseln mittwochs zu Mutter, bleiben dort Donnerstag und Freitag und verbringen dann die Wochenenden abwechselnd bei ihren Eltern.
Die Mutter hat am 22. Juli 2019 auf Abänderung dieser von ihr so benannten "Umgangsregelung" angetragen. In jenem Verfahren (1/19 ...) haben die Eltern keine Einigkeit zu der Betreuung der Kinder herbeiführen können, aktuell wird insoweit ein Gutachten dazu eingeholt, ob die Fortführung dieses oder eines anderen Wechselmodells mit dem Kindeswohl vereinbar ist bzw. diesem förderlich ist. Jugendamt und Verfahrensbeistand hatten vor allem im Hinblick auf das geringe Alter der Kinder (vor allem des jüngeren, nun zweijährigen X) und die in der Forschung zu Entwicklungspsychologie vorherrschenden Meinung den Standpunkt vertreten, dass ein Wechselmodell vorliegend aller Wahrscheinlichkeit nach mit zu vielen Problemen für die Kinder verbunden sei.
Das Amtsgericht hat in Anbetracht der fehlenden Einigung der Eltern gem. § 156 Abs. 3 S. 1 FamFG außerdem das vorliegende einstweilige Anordnungsverfahren als Umgangsverfahren von Amts wegen eingeleitet. Nach Anhörung der Beteiligten hat das Amtsgericht am 18. Oktober 2019 mit einstweiliger Anordnung das vereinbarte Modell mit häufigen Wechseln abgeändert und eine Umgangsregelung dahin angeordnet, dass die Kinder sich in den geraden Kalenderwochen bei der Mutter und in den ungeraden Kalenderwochen beim Vater aufhalten. Damit folgte das Amtsgericht weder dem Vorschlag des Vaters noch einem Vorschlag der Mutter.
Gegen den ihr am 21. Oktober 2019 zugestellten Beschluss wendet sich die Mutter mit ihrer Beschwerde. Sie beruft sich für die Zulässigkeit ihrer Beschwerde darauf, dass das Amtsgericht dogmatisch betrachtet eine sorgerechtliche Regelung getroffen habe, die gem. § 57 Nr. 1 FamFG der Anfechtung unterliege. In der Sache beanstandet sie die getroffene Regelung damit, dass sie nicht mit dem Wohl des Kindes X vereinbar sei, der ihrer Ansicht nach mit seinen zwei Jahren nach dem aktuellen Stand der Forschung mit derartigen häufigen Wechseln überfordert sei. Auch für das Kind Y sei die angeordnete Regelung schlecht, weil der Konflikt zwischen den Eltern eine Kommunikationsstörung verursache, bei der das Wechselmodell nicht kindeswohlverträglich gelebt werden könne.
Die Eltern haben das in der einstweiligen Anordnung vorgegebene Wochenschema mit längeren Betreuungszeiten über vollständige Wochen nicht umgesetzt. Stattdessen haben sie sich auf ein - im Vergleich mit der 2018 gefundenen Lösung - mit weniger Wechseln verbundenes Betreuungskonzept geeinigt. Sie haben das einvernehmlich im Jahr 2018 gefundene Modell stattdessen dahin abgewandelt, dass beide Kinder im Zweiwochenturnus sich wie folgt bei ihren Eltern aufhalten:
|
Mo |
Di |
Mi |
Do |
Fr |
Sa |
So |
Mo |
Di |
Mi |
Do |
Fr |
Sa |
So |
Mutter |
M |
|
M |
M |
M |
|
|
|
|
M |
M |
M |
M |
M |
Wechsel zu |
▿ |
|
▵ |
|
▿ |
|
|
|
|
▵ |
|
|
|
|
Vater |
V |
V |
V |
|
V |
V |
V |
V |
V |
V |
|
|
|
|
In der Anhörung vor der beauftragten Richterin des Senats hat sich gezeigt, dass die Mutter ihren jüngeren Sohn als hochgradig irritiert erlebt. Sie beschreibt, dass er ihr in den ersten beiden Tagen nach einem Wechsel in ihren Haushalt nicht von der Seite weiche. Die Nächte seien "eine Katastrophe". Sie müsse am Bett sitzen, bis der Junge eingeschlafen sei, das Kind wache nachts auf und weine dann derart beharrlich, dass sie ihn mit in ihr Bett nehmen müsse. Der Verfahrensbeistand und das Jugendamt bewerten diese Reaktion des nun 2jährigen X als Verlustangst die Mutter betreffend. Der Vater glaubt nicht, dass die Nächte im Haushalt der Mutter derart gestört verlaufen und behauptet, X schlafe bei ihm völlig normal ein. Wenn er - was selten vorkomme - nachts aufwache, lasse er sich beruhigen ...