Entscheidungsstichwort (Thema)

Antrag auf Feststellung, dass eine Entscheidung eines Gerichts eines anderen EU-Mitgliedstaats nicht anzuerkennen ist

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Antrag nach Art. 33 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 kann nur auf eine positive, nicht aber auf eine negative Feststellung der Anerkennungsfähigkeit gerichtet sein.

 

Normenkette

AVAG § 11 Abs. 2, § 13 Abs. 1; EuGVVO Art. 53, 66 Abs. 2; EGV Nr. 44/2001 Art. 33 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Marburg (Beschluss vom 23.12.2019; Aktenzeichen 2 O 196/18)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin und Beschwerdeführerin vom 3. Februar 2020 gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Marburg vom 23. Dezember 2019 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: die Antragstellerin), die mit graphischen Maschinen handelt, beauftragte die Antragsgegnerin im Jahre 2008 mit in Italien zu erbringenden Montageleistungen. Die Antragsgegnerin stellte der Antragstellerin im Jahr 2013 für Leistungen, die sie im Jahr 2009 erbracht hatte, einen Betrag von EUR 48.748,80 in Rechnung, nachdem eine weitere Rechnung über EUR 57.992,40 bereits von der Antragstellerin beglichen worden war.

Nachdem die Antragstellerin die Begleichung der späteren Rechnung unter Hinweis darauf abgelehnt hatte, es fehle an einer Auftragserteilung, erwirkte die Antragsgegnerin vor dem Tribunale di Milano in einem ohne Beteiligung der Antragstellerin durchgeführten Verfahren am 15. Juli 2014 einen Zahlungsbefehl ("decreto ingiuntivo") über die genannte Summe nebst Zinsen, welcher der Antragstellerin am 17. Dezember 2014 zugestellt wurde. In der beigefügten deutschen Übersetzung des Dokuments heißt es in Bezug auf ein mögliches Rechtsmittel, die Antragstellerin habe das Recht, "innerhalb 50 Tagen nach Zustellung dieser Akte vor diesem Gericht Einspruch zu erheben".

Unter dem 22. Dezember 2014 und dem 6. Januar 2015 zeigte der damalige Bevollmächtigte der Antragstellerin, Rechtsanwalt A aus Stadt1, gegenüber dem Tribunale di Milano an, dass die Antragstellerin dem decreto ingiuntivo widerspreche und Einspruch erhebe.

Das italienische Prozessrecht sieht jedoch vor, dass der Widerspruch im Wege einer besonderen Klage durch einen bei Gericht zugelassenen avvocato zu erheben ist und innerhalb der gesetzten Frist dem Gegner zugestellt werden muss.

Am 9. April 2015 erklärte das Tribunale di Milano das decreto ingiuntivo für vollstreckbar. Die hiergegen im Mai 2015 eingereichte Widerspruchsklage, die zur Aufhebung des angefochtenen Zahlungsbefehls und zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand führen sollte, hat das Tribunale di Milano mit Urteil vom 22. Dezember 2015 zurückgewiesen. Mit Urteil vom 19. Juli 2017 wies der Corte d'appello di Milano die hiergegen eingelegte Berufung zurück (Bl. 44 ff. d. A.).

Die Antragsgegnerin beantragte bei der zuständigen Gerichtsvollzieherin des Amtsgerichts Stadt2 unter Vorlage einer Bescheinigung nach Art. 53 und Anhang I der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen die Zwangsvollstreckung gegen die Antragstellerin wegen eines Anspruchs in Höhe von insgesamt EUR 63.115,00. Das Amtsgericht Stadt2 - Vollstreckungsgericht - stellte auf die Erinnerung der Antragstellerin die Vollstreckung zunächst mit Beschluss vom 7. November 2018 (Bl. 30 d. A.) einstweilig ein und erklärte die am 15. Oktober 2018 vorgenommene Zwangsvollstreckung schließlich mit Beschluss vom 16. Mai 2019 (Bl. 154 d. A.) für unzulässig (Aktenzeichen .../18).

Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die Antragsgegnerin nicht auf Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vollstrecken könne, weil diese Verordnung bei Beginn des Verfahrens im Jahr 2014 noch nicht in Kraft gewesen sei, so dass der Vollstreckung ein Titelanerkennungsverfahren nach früherem Recht vorausgehen müsse. Den Vollstreckungstiteln sei nach Art. 45 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 die Anerkennung zu versagen, weil das Urteil des Corte d'appello di Milano den deutschen "ordre public" verletze. Der in der Übersetzung der Rechtsmittelbelehrung zum decreto ingiuntivo verwendete Begriff "Einspruch" sei missverständlich, und das Fehlen eines Hinweises auf den Anwaltszwang im Widerspruchsverfahren und auf Notwendigkeit, dass der Widerspruch innerhalb der gesetzten Frist nicht nur bei Gericht eingehen, sondern auch der Gegenseite zugestellt werden müsse, sei für die Versäumung der Frist ursächlich geworden.

Überdies bestehe ungeachtet der vom Vollstreckungsgericht für unzulässig erklärten Vollstreckung ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin in Bezug auf die Feststellung, dass den ergangenen Entscheidungen die Vollstreckungsanerkennung zu versagen sei, zumal da die Antragsgegnerin im Vollstreckungsverfahren von der Anwendb...

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