Entscheidungsstichwort (Thema)
Tatbestandsberichtigungsantrag, Berichtigung ohne mündliche Verhandlung, Beschwerde
Leitsatz (amtlich)
1. Wird vom erstinstanzlichen Gericht über einen Tatbestandsberichtigungsantrag ohne mündliche Verhandlung entschieden, obwohl ein entsprechender Antrag gem. § 320 Abs. 3 ZPO ausdrücklich gestellt war, begründet dies einen erheblichen Verfahrensmangel, welcher ausnahmsweise entgegen § 320 Abs. 4 Satz 4 ZPO die sofortige Beschwerde statthaft macht.
2. Ein richterliches Mitglied des Spruchkörpers, welcher das im Tatbestand zu berichtigende Urteil erlassen hat, ist nicht deshalb an der Mitwirkung bei der Entscheidung über den Tatbestandsberichtigungsantrag verhindert, weil es inzwischen nur noch in einem anderem Spruchkörper desselben Gerichts tätig ist.
Normenkette
GG Art. 103; ZPO §§ 320, 567
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Beschluss vom 09.10.2006; Aktenzeichen 2-11 O 96/04) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Klägers werden der Beschluss der 11. Zivilkammer des LG Frankfurt/M. vom 9.10.2006 betr. den Tatbestandsberichtigungsantrag des Klägers und der Nichtabhilfebe-schluss vom 23.10.2006 aufgehoben.
Das LG wird angewiesen, Termin zur mündlichen Verhandlung über den Tatbestandsberichtigungsantrag des Klägers anzuberaumen.
Der Beschluss vom 23.10.2006 ist gegenstandslos, soweit er über eine Gehörsrüge gem. § 321a ZPO befindet.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden niedergeschlagen. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht mit dem vorliegenden Rechtsstreit Honoraransprüche als Steuerberater geltend. Die 11. Zivilkammer des LG verkündete am 31.3.2006 ein Endurteil, mit dem die Klage abgewiesen wurde. Dieses ist dem Kläger am 8.5.2006 zugestellt worden. Inzwischen legte der Kläger Berufung ein. Mit am 22.5.2006 eingegangenem Schriftsatz (Bl. 219/228 d.A.) hat er beim LG einen Tatbestandsberichtigungsantrag gestellt und beantragt, über den Antrag mündlich zu verhandeln. Durch Beschluss vom 9.10.2006, dem Kläger zugestellt am 11.10.2006, hat die Einzelrichterin, welche das Urteil vom 31.3.2006 erlassen hat, den Antrag ohne vorherige mündliche Verhandlung als in der Sache unbegründet zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 11.10.2006 eingegangen sofortigen Beschwerde, welche er auf eine Nichtbeachtung des § 320 Abs. 3 ZPO stützt. Das LG hat durch den Nachfolger im Dezernat der ursprüglich tätigen Richterin mit Beschluss vom 23.10.2006 der Beschwerde, da unstatthaft, nicht abgeholfen und eine etwa in der Beschwerde zu sehende Gehörsrüge für nicht erfolgversprechend erachtet.
II. Die sofortige Beschwerde ist ausnahmsweise entgegen der allgemeinen Regelung in § 320 Abs. 4 Satz 4 ZPO statthaft; sie ist auch begründet.
1. Die Rechtsmittelbeschränkung in § 320 Abs. 4 Satz 4 ZPO beruht darauf, dass nur das erkennende (erstinstanzliche) Gericht in der Besetzung, in der es mündlich verhandelt hat, sachlich in der Lage ist, zu beurteilen, was in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden ist, und deshalb auch nur in der ursprünglichen Besetzung beurteilen kann, ob der angegriffene Tatbestand unrichtig ist; dieser Normzweck findet darin seinen Ausdruck, dass gem. § 320 Abs. 4 Satz 2 ZPO nur diejenigen Richter an der Entscheidung über einen Tatbestandsberichtigungsantrag mitwirken, welche bei dem Urteil mitgewirkt haben (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.3.2004 - 24 W 8/04, NJW-RR 2004, 1723 unter II.2. der Gründe [JURIS Rz. 4]). Mit dem Ausschluss der Anfechtbarkeit wird also der Tatsache Rechnung getragen, dass das Beschwerdegericht mangels Beteiligung an dem erstinstanzlichen Urteil nicht in der Sache über einen Tatbestandsberichtigungsantrag entscheiden kann. Dem entsprechend ist es andererseits in Literatur und Rechtsprechung allgemein anerkannt, dass eine sofortige Beschwerde gegen die Ablehnung eines Tatbestandsberichtigungsantrags jedenfalls dann statthaft ist, wenn über den Antrag nicht in der Sache entschieden, sondern der Antrag ohne Sachprüfung als unzulässig verworfen worden ist (Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 320 Rz. 14; B/L/A/H-Hartmann, 64. Aufl. 2006, § 320 Rz. 14; BVerfG, Beschl. v. 1.10.2004 - 1 BvR 786/04, NJW 2005, 657 unter II.1. b. der Gründe [JURIS Rz. 20]). Verallgemeinernd wird vertreten, dass eine Anfechtung mittels sofortiger Beschwerde auch dann statthaft sei, wenn der Beschluss unter Verletzung wichtiger Vorschriften über das Berichtigungsverfahren zustande gekommen ist; denn auch in diesen Fällen griffen die Erwägungen, welche einem Ausschluss der Anfechtung zugrunde liegen, nicht durch (OLG Hamm, Beschl. v. 3.2.1967 - 15 W 56/67, NJW 1967, 1619; auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 1.3.1963 - 3 W 14/63, NJW 1963, 2032; Musielak/Musielak, ZPO, 4. Aufl. 2005, § 320 Rz. 10; offen gelassen von BGH, Urt. v. 9.12.1987 - IVa ZR 155/86, MDR 1988, 389 = CR 1988, 559 = NJW-RR 1988, 407, 408). Dem schließt sich der Senat an für den hier gegebenen Fall eines Verstoßes gegen § 320 Abs. 3 ZPO. Auch nach der teilweisen Neufa...