Entscheidungsstichwort (Thema)

Zeugenpflicht im Strafverfahren. Erscheinenspflicht für im Inland lebenden Ausländer während Auslandsaufenthalts. Verhängung eines Ordnungsmittels

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zeugenpflichten sind staatsrechtlich begründete Pflichten und verpflichten jeden, der mit Wohnsitz als Zeuge geladen wird.

2. Verlässt der Zeuge zwischen Ladung und Hauptverhandlungstermin das Bundesgebiet, ändert das an seiner durch die Ladung in seiner Person begründeten Zeugenpflicht nichts.

3. Gegen ihn darf ein Ordnungsmittel nach § 51 StPO verhängt werden, und zwar unabhängig davon, ob er deutscher oder ausländischer Staatsangehöriger ist (entgegen OLG Düsseldorf, 25. Januar 1999, 1 Ws 702/98, NJW 1999, 1647 und 29. Mai 1991, 2 Ws 148/91, NJW 1991, 2223).

 

Normenkette

StPO § 51

 

Verfahrensgang

LG Darmstadt (Entscheidung vom 01.07.2013; Aktenzeichen 1200 Js 95.769/10 - 6 Ns)

LG Darmstadt (Entscheidung vom 13.08.2012)

 

Tenor

Die Beschwerde wird kostenpflichtig verworfen.

 

Gründe

I.

Das Landgericht Darmstadt hat mit Beschluss vom 13. August 2012 gegen die ordnungsgemäß geladene Zeugin türkischer Staatsangehörigkeit mit Wohnsitz in Deutschland ein Ordnungsgeld verhängt, nachdem sie in der Hauptverhandlung am 13. August 2012, für die sie geladen war, nicht zu ihrer Vernehmung erschienen war, weil sie sich vorübergehend in der Türkei aufgehalten hat.

Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2013 legte die Zeugin gegen den Ordnungsgeldbeschluss Rechtsmittel ein und entschuldigte nachträglich gemäß § 51 Abs. 2 S. 3 StPO ihr Fernbleiben. Mit dem vorliegend angegriffenen Beschluss vom 1. Juli 2013 hat das Landgericht Darmstadt den Antrag auf nachträgliche Aufhebung des Ordnungsmittelbeschlusses vom 13. August 2012 zurückgewiesen. Der hiergegen mit Schreiben vom 5. Juli 2013 eingegangenen einfachen Beschwerde (§§ 304 Abs. 1, 2, 305 StPO) hat das Landgericht nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Zur Verhängung eines Ordnungsmittels nach § 51 StPO gegen die türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in Deutschland war das Landgericht berechtigt, obwohl sich die Zeugin zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung in der Türkei aufgehalten hat (entgegen OLG Düsseldorf NJW 1999, 1647-1648 m. w. N.).

Alle Zeugenpflichten sind staatsrechtlich begründete Pflichten, die die Strafprozessordnung nicht konstituiert, sondern voraussetzt (vgl. BVerfG NJW 1979, 32; für alle LR-Ignor/Bertheau StPO 26. Aufl. Vor. § 48 Rn. 16). Die Durchsetzung dieser Pflicht durch Anordnung von Sanktionen gehört zum überlieferten Normenbestand (BVerfGE 43, 101, 106) und ist mit dem Grundgesetz vereinbar (BVerfG 1988, 897 Rn. 67 m.w.N.). Diese Pflicht trifft zumindest jeden, der mit Wohnsitz in Deutschland als Zeuge geladen wird, und zwar unabhängig davon, ob er deutscher oder ausländischer Staatsangehöriger ist (h.M. vgl. nur Anm. Staudinger StraFo 2012, 12 zu OLG Stuttgart v. 01.06.2011 - 5-3 StE 6/10 m.w.N.; Ausnahme §§ 18-20 GVG). Begründet wird die Pflicht mit der ordnungsgemäßen Ladung, und sie endet mit Erscheinen und wahrheitsgemäßer Aussage vor dem Gericht oder Abladung, was sich nicht zuletzt aus dem Wortlaut des § 51 StPO ergibt. Verlässt der Zeuge zwischen Ladung und Hauptverhandlungstermin das Bundesgebiet, ändert sich an seiner durch die Ladung in seiner Person begründeten Zeugenpflicht nichts. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Territorialprinzip (a.A. OLG Düsseldorf NJW 1999, 1647 Rn. 9 m.w.N.). Die deutsche Gerichtsbarkeit ist zwar hinsichtlich ihres Geltungsbereichs auf das deutsche Staatsgebiet beschränkt und kann deswegen gegen Zeugen im Ausland, und zwar unabhängig von deren Staatsangehörigkeit, keine Zwangsmittel anwenden. Eine zwangsweise Vorführung nach § 51 Abs. 1 S. 3 StPO gegen einen nicht erschienen Zeugen scheidet deswegen aus, solange er sich nicht in Deutschland und damit im Hoheitsgebiet der deutschen Strafgewalt befindet. Das gilt aber nicht für die Anordnung der Ordnungsmittel (Ordnungsgeld und Ordnungshaft) und die Kostentragungspflicht (§ 51 Abs. 1 S.1 StPO). Es sind nämlich keine Zwangsmittel oder Vollstreckungsmaßnahmen, die die Durchführung der Hauptverhandlung sicherstellen, oder den Zeugen zur Aussage zwingen sollen, sondern Sanktionsmittel zur Ahndung eines bereits begangenen Ungehorsams (vgl. BVerfG NJW 1988, 897, 898). Historisch waren als Sanktionen für derartigen Ungehorsam sogar Geld- und Gefängnisstrafen vorgesehen, die erst durch das Einführungsgesetz zum StGB v. 02.03.1974 durch den Begriff "Ordnungsgeld" und damit zu einer "Ungehorsamsfolge nichtkrimineller Art" auf einer Ebene unterhalb der Strafsanktionen und Ordnungswidrigkeiten ersetzt wurden (vgl. ausführlich zur Historie des §§ 51 StPO, 380 ZPO Grüneberg MDR 1992, 326, 329 m.w.N.). Bestätigt wird dies auch durch den Wortlaut des § 51 StPO, der als Tatbestandsvoraussetzung lediglich die Ladung und das unentschuldigte (§ 51 Abs. 2 StPO) Nichterscheinen nennt. Es ist dabei unerheblich, wo sich der Betroffene befindet und welche Staatsangehörigkeit er hat. § 51 StPO...

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