Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur materiellen Unwirksamkeit einer Beitragserhöhung in einem Beitragsentlastungstarif für das Alter in der privaten Krankenversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Dem Schweigen des Klägers auf eine Beitragsanpassung im Rahmen der Klageschrift kann aus Sicht einer verständigen Beklagten nicht der Erklärungswert beigemessen werden, dass er damit die durch diese Beitragsanpassung vorgenommene vollständige Neufestsetzung der Beiträge insgesamt als richtig anerkannt hat und diese Prämienanpassung fortan die Rechtsgrundlage für den Prämienanspruch im nicht angegriffenen Tarif in seiner Gesamthöhe bilden soll.
2. Die in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) eines Beitragsentlastungstarifs in der privaten Krankenversicherung formulierte Bedingung für eine Beitragsanpassung "wird auf Grundlage des § 8b (...) in der Pflegeversicherung (...) eine neue Sterbetafel eingeführt, so erfolgt auch eine Beitragsanpassung im [Tarif] zum gleichen Termin" hält einer Inhaltskontrolle gemäß § 307 Abs. 1 S. 2 BGB nicht stand. Eine hierauf gestützte Beitragserhöhung ist wegen des Verstoßes der zugrundeliegenden AVB gegen das Transparenzgebot materiell unwirksam
Normenkette
BGB § 307; VVG § 203
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 04.05.2021; Aktenzeichen 9 O 1318/20) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung seines weitergehenden Rechtsmittels das am 4. Mai 2021 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hanau, Az. 9 O 1318/20, zum Teil abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass die zur Versicherungsscheinnummer ... von der Beklagten
- im Nachtragsversicherungsschein aus November 2010 für Vorname1 X ausgesprochene Beitragsanpassung im Tarif EL um monatlich 15,29 EUR zum 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2017 nicht wirksam geworden ist und der Kläger nicht zur Tragung der sich hieraus im Jahr 2017 ergebenden Erhöhungsbeträge verpflichtet ist;
- im Nachtragsversicherungsschein aus November 2010 für Vorname2 X ausgesprochene Beitragsanpassung im Tarif KG 2 um monatlich 6,77 EUR zum 1. Januar 2011 bis 31. Dezember 2018 nicht wirksam geworden ist und der Kläger nicht zur Tragung der sich hieraus für die Jahre 2017 und 2018 ergebenden Erhöhungsbeiträge verpflichtet ist;
- im Nachtragsversicherungsschein aus November 2014 für Vorname2 X ausgesprochenen Beitragsanpassungen im Tarif KG 2 um monatlich 3,41 EUR und im Tarif KHT 2/50,00 um monatliche 2,58 EUR zum 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2018 nicht wirksam geworden sind und der Kläger nicht zur Tragung der sich hieraus für die Jahre 2017 und 2018 ergebenden Erhöhungsbeiträge verpflichtet ist;
- in den Nachtragsversicherungsscheinen aus November 2015 für Vorname3 und Vorname4 X jeweils ausgesprochene Beitragsanpassung im Tarif EL-N um monatlich 24,77 EUR zum 1. Januar 2016 bis 30. November 2017 nicht wirksam geworden ist und der Kläger nicht zur Tragung der sich jeweils hieraus vom 1. Januar bis 30. November 2017 ergebenden Erhöhungsbeträge verpflichtet ist;
- im Nachtragsversicherungsschein aus November 2018 für Vorname2 X ausgesprochene Beitragsanpassung im Tarif BEAEP/100,0 um monatlich 14,59 EUR nicht wirksam geworden ist und der Kläger nicht zur Tragung der sich jeweils hieraus vom 1. Januar bis 1. Mai 2019 ergebenden Erhöhungsbeiträge verpflichtet ist und
- im Nachtragsversicherungsschein aus November 2019 für Vorname2 X ausgesprochene Beitragsanpassung im Tarif BEAEP/110,0 um monatlich 0,24 EUR zum 1. Januar 2020 nicht wirksam geworden ist und der Kläger nicht zur Tragung der sich jeweils hieraus ergebenen Erhöhungsbeiträge verpflichtet ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.108,81 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. ab 18. Dezember 2020 zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie bis zum 17. Dezember 2020 auf die unter Ziffer 1. aufgeführten Beitragserhöhungen bezüglich der
- im Jahr 2017 im Tarif EL (Vorname1 X),
- vom 1. Januar bis 30. November 2017 jeweils im Tarif EL-N (Vorname3 und Vorname4 X),
- in den Jahren 2017 und 2018 im Tarif KG 2 und Tarif KHT 2/50,00 (Vorname2 X),
- vom 1. Januar 2019 bis 1. Mai 2019 im Tarif BEAEP/100,0 (Vorname2 X) und
- vom 1. Januar 2020 bis 1. Mai 2020 im Tarif BEAEP/110,0 (Vorname2 X)
gezahlten Prämienanteile gezogen hat.
4. Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie auf die Prämienanteile gezogen hat, die auf die Beitragserhöhung im Tarif BEAEP/110,0 ab dem 1. Juni 2020 gezahlt wurden.
5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz haben der Kläger zu 90 %, die Beklagte zu 10 % zu tragen.
Die Revision wird zugelassen.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des gegen sie zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die vol...