Leitsatz (amtlich)
1. Mit der gesetzlichen Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel ist es nicht vereinbar, wenn eine Apotheke bei Abgabe eines solchen Arzneimittels einen bei einer Bäckerei einzulösenden Einkaufsgutschein (hier: über "zwei Wasserweck oder ein Ofenkrusti") gewährt.
2. Auch nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Unvereinbarkeit der Arzneimittelpreisbindung mit dem Unionsrecht (Urteil vom 19.10.2016 - C-148/15) ist das sich aus Ziffer 1. ergebende Verbot verfassungsrechtlich - unter dem Gesichtspunkt der "Inländerdiskriminierung" - erst dann bedenklich, wenn der sich daraus möglicherweise ergebende erhöhte Marktanteil ausländischer Versandapotheken im Bereich verschreibungspflichtiger Arzneimittel zu einer ernsthaften Existenzbedrohung der inländischen Präsenzapotheken führt. Hierfür bestehen nach dem Sach- und Streitstand im vorliegenden Rechtsstreit derzeit keine ausreichenden Anhaltspunkte.
Normenkette
AMG § 78
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Entscheidung vom 10.06.2016; Aktenzeichen 14 O 186/15) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 10.06.2016 verkündete Urteil der 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Darmstadt wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 35.000,00 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Zugabe von Gutscheinen beim Verkauf rezeptpflichtiger Arzneimittel.
Die Beklagte betreibt eine Apotheke in O1. Sie händigte am 08.09.2014 einem Kunden anlässlich des Erwerbs eines rezeptpflichtigen und preisgebundenen Arzneimittels ungefragt einen "Brötchen-Gutschein" über "2 Wasserweck oder 1 Ofenkrusti" aus (Anlage K4). Der Gutschein konnte bei einer bestimmten, in der Nähe der Apotheke gelegenen Bäckerei eingelöst werden.
Die Klägerin, ein gewerblicher Interessenverband, sieht in der Gutscheinabgabe einen Verstoß gegen die Arzneimittelpreisbindung. Nach erfolgloser Abmahnung hat sie mit Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 04.12.2014 (Az. 19 O 327/14, Anlage K7) eine einstweilige Verfügung erwirkt. Der Senat hat die Berufung gegen das im einstweiligen verfügungsverfahren ergangene Urteil mit Beschluss vom 02.04.2015 zurückgewiesen (Az. 6 U 17/15, Anlage K9; WRP 2015, 759).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf das angegriffene Urteil des Landgerichts Darmstadt Bezug genommen (§ 540 I Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat die Beklagte am 10.06.2016 verurteilt, es bei Meidung des gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, geschäftlich handelnd den Verkauf rezeptpflichtiger, preisgebundener Arzneimittel mit der kostenfreien Abgabe eines Brötchen-Gutscheins zu verknüpfen. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Beklagte mit der Berufung. Im Berufungsrechtszug wiederholen und vertiefen die Parteien ihr Vorbringen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 10.06.2016 (Az.: 14 O 186/15) aufzuheben und die darauf gerichtete Klage zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Der Unterlassungsantrag ist hinreichend bestimmt (§ 253 II Nr. 2 ZPO). Ein Verbotsantrag darf nicht derart undeutlich gefasst sein, dass Gegenstand und Umfang der Entscheidungsbefugnis des Gerichts nicht erkennbar abgegrenzt sind, sich der Beklagte deshalb nicht erschöpfend verteidigen kann und letztlich die Entscheidung darüber, was dem Beklagten verboten ist, dem Vollstreckungsgericht überlassen bleibt (vgl. BGH GRUR 2016, 395 [BGH 17.09.2015 - I ZR 92/14] Rn. 13 - Smartphone-Werbung m.w.N.). Der Klageantrag und das darauf beruhende Verbot des Landgerichts sind zwar nicht auf die konkrete Verletzungsform in Gestalt des ausgegebenen Brötchengutscheins beschränkt (Anlage K4). Die Formulierung "kostenfreie Abgabe eines Brötchen-Gutscheins" stellt jedoch eine zulässige Verallgemeinerung dar, die über den Kernbereich der konkreten Verletzungsform nicht hinausgeht. Auch der Begriff des "rezeptpflichtigen, preisgebundenen Arzneimittels" ist hinreichend konkret, um den Verbotsumfang deutlich abzugrenzen.
2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung der kostenfreien Zugabe eines Brötchen-Gutscheins aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 2, 3 Abs. 1, 3a UWG (§ 4 Nr. 11 UWG aF) in Verbindung mit § 78 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 3 Satz 1 AMG .
a) Nach § 78 II S. 2, 3 AMG ist für verschreibungspflichtige Arzneimittelein einheitlicher Apothekenabgabepreis zu gewährleisten, der nach Maßgabe der Arzneimittelpreisverordnung (§ 3 AMPreisV) festgelegt wird. Die Vorschriften ...