Entscheidungsstichwort (Thema)

Behandlungsfehler durch überlange Operationsdauer (elf Stunden)

 

Verfahrensgang

LG Wiesbaden (Urteil vom 13.09.2012; Aktenzeichen 2 O 233/09)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 2. Zivilkammer des LG Wiesbaden vom 13.09.2012 (Az.: 2 O 233/09) teilweise abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.02.2010 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche materiellen Schäden aus der fehlerhaft überlangen Operation am 21.11.2005 zu ersetzen, vorbehaltlich eines gesetzlichen Forderungsüberganges.

Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 3600,94 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

Im Übrigen werden die Klage ab- und die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 24 % und die Beklagte 76 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des gesamten aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert der ersten und der zweiten Instanz wird auf bis zu 165.000,- EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger fordert wegen behauptet fehlerhafter ärztlicher Behandlung und Aufklärung Ersatz immaterieller Schäden, Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für sämtliche materielle Schäden und zukünftige nicht vorhersehbare immaterielle Schäden sowie Ersatz von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Der am ... 196x geborene Kläger litt seit Jahren an Rückenschmerzen mit wechselnder Schmerzausstrahlung. Er war bereits 1997 wegen eines Bandscheibenvorfalls L5/S1 links in Rehabilitationsbehandlung.

Der Kläger, der wegen seiner Beschwerden eine Umschulung als Heilerzieher absolviert hat, war seit dem 08.05.2005 arbeitsunfähig (Bl. 166 d.A.). Vom 27.07.2005 bis 24.08.2005 erfolgte die stationäre konservative Rehabilitationsbehandlung in der A-Rehaklinik Stadt1 wegen chronischer, akut seit Mai zunehmender Rückenschmerzen bei relativer Spinalstenose L3/4, L4/5 und mediolateral links gelegenen Bandscheibenvorfall L5/S1 nach entsprechender Bildgebung (MRT). Nach längerem Gehen nahmen die Schmerzen deutlich zu, Treppensteigen war schmerzbedingt kaum möglich, ebenso das Bücken. Auch bei längerem Sitzen nahmen die Schmerzen zu, das Liegen musste teilweise in einem Stufenbett erfolgen. Die Rehabilitation gestaltete sich aufgrund der ausgeprägten Schmerzsymptomatik schwierig; der Kläger erfuhr durch diese keine Besserung.

Am 01.09.2005 stellte sich der Kläger in der Ambulanz der neurochirurgischen Klinik der Beklagten vor. Ihm wurde eine stationäre Aufnahme zur Abklärung der Schmerzgenese mit Provokationsdiskografie L5/S1 und Facetteninfiltrationsbehandlungen L4/5 und L5/S1 vorgeschlagen. Hierzu wurde er vom 19.09.2005 bis 23.09.2005 stationär aufgenommen. Es wurden Facettenblockaden L4/5 und L5/S1 und Iliosacralgelenks-Blockaden vorgenommen; die Provokationsdiskografie unterblieb (aufgrund technischer Probleme). Unter der Infiltration der Wirbelgelenke kam es zu einer Schmerzbesserung.

Der Kläger entschied sich gegen eine (weitere) konservative Therapie und für eine operative Therapie, eine Nukleotomie L4/5, L5/S1 und Implantation von Fusions-Cages mit Implantationsfixateur interne L4 bis S1 beidseitig.

Am 16.11.2005 fand ein Aufklärungsgespräch mit der damaligen Assistenzärztin der Beklagten, der Zeugin Z1, statt (Einverständniserklärung vom 16.11.2005, Anlage B3, Bl. 70 d.A.), dessen Inhalt zwischen den Parteien streitig ist.

Am 20.11.2005 wurde der 1,80 m große und 110 Kg schwere Kläger stationär zur Operation aufgenommen. Die Diagnosen lauteten: Relative Spinalkanalstenose LWK3/4, Instabilität LWK4/5 und LWK 5/SWK 1, Bandscheibenvorfall präsakral links medio-lateral nach entsprechender Bildgebung von Mai 2005 (Arztbrief vom 19.12.2005, Krankenunterlagen Bl. 170, 171 d.A.).

Am 21.11.2005 führte der Direktor der Klinik für Neurochirurgie der Beklagten, der Zeuge Z2, den Eingriff durch. Die Operation erfolgte in Bauchlage; sie begann um 9:20 Uhr und endete um 21:15 Uhr - Lagerung 12 Stunden, OP-Dauer 11 Stunden -. Es wurde die Lendenwirbelsäule dargestellt. Unter dem Mikroskop erfolgte eine bilaterale Flavektomie und Hemilaminektomie LWK 4, die Nervenwurzeln L4 und L5 wurden beidseits freigelegt und mittels Foramintomie dekomprimiert. Das Bandscheibenfach LWK 4/5 wurde von beiden Seiten ausgehöhlt, distrahiert und mit Cages stabilisiert. Identisch wurde in der Etage darunter vorgegangen. Abschließend erfolgte die transpedikuläre Fixierung mittels Schrauben-Stab-System durch den Unfallchirurgen ... (OP-Bericht B5, Bl. 122, 123 d.A.).

Postoperativ zeigte sich am 24.11.2005 eine Quadrizepsparese und ...

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