Entscheidungsstichwort (Thema)
Patentrecht: Äquivalente Verletzung bei nachträglich eingeschränktem Patentanspruch; Designrecht: Begrenzung des Schutzumfangs bei Übereinstimmung nur in ausschließlich technisch bedingten Merkmalen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine äquivalente Patentverletzung liegt nicht vor, wenn die Einbeziehung der angegriffenen abgewandelten Ausführungsform in den Schutzbereich dazu führen würde, dass der nachträglich eingeschränkte Patentanspruch im Ergebnis einen Schutzumfang erhält, der dem ursprünglichen Anspruch entspricht.
2. Die Erscheinungsmerkmale eines eingetragenen Designs sind mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des EUGH (GRUR 2018, 612 - DOCERAM/Zentrierstifte) bereits dann ausschließlich technisch bedingt (§ 3 I Nr. 1 DesignG), wenn sie bei objektiver Beurteilung mit dem Ziel gewählt wurden, die technische Funktion des Erzeugnisses zu erfüllen, und andere Erwägungen - insbesondere solche, die mit der visuellen Erscheinung des Erzeugnisses zusammenhängen ("ästhetischer Überschuss") - bei der Entscheidung für dieses Merkmal keine Rolle gespielt haben.
3. Zumindest ein Indiz für eine ausschließlich technische Bedingtheit von Merkmalen im Sinne von Ziffer 2. kann darin gesehen werden, dass die technische Funktion dieser Merkmale in einer Patentschrift unter Verwendung einer dem Design im Wesentlichen entsprechenden Zeichnung beschrieben wird.
4. Die Vorschrift des § 3 I Nr. 1 DesignG enthält nicht nur einen Schutzausschussgrund für das Design in seiner Gesamtheit, sondern auch einen "Schutzerschwerungsgrund" in dem Sinne, dass ausschließlich technisch bedingte Merkmale bei der Beurteilung von Schutzfähigkeit und Schutzumfang des Designs ausgeblendet werden müssen.
5. Die Bindung an die Schutzfähigkeit des eingetragenen Designs hindert das Verletzungsgericht nicht, eine Verletzung des Klagedesigns mit der Begründung zu verneinen, dass Klagedesign und angegriffene Ausführungsform nur hinsichtlich ausschließlich technisch bedingter Merkmale übereinstimmen; Voraussetzung ist lediglich, dass das Klagedesign jedenfalls nicht in jeder Hinsicht identisch übernommen worden ist.
Normenkette
DesighnG § 3 Abs. 1 Nr. 1; PatG § 139
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 24.08.2016; Aktenzeichen 2-6 O 426/15) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24.8.2016 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main teilweise abgeändert.
Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Von den Kosten erster Instanz haben die Klägerin 68% und die Beklagte 32% zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Widerbeklagten zu 2 hat die Beklagte alleine zu tragen. Die Kosten der Streithilfe haben zu 68% die Klägerin, im Übrigen der Streithelfer selbst zu tragen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben die Klägerin 61% und die Beklagte 39% zu tragen. Die außergerichtlichen Kosten des Widerbeklagten zu 2 hat die Beklagte alleine zu tragen. Die Kosten der Streithilfe haben zu 68% die Klägerin, im Übrigen der Streithelfer selbst zu tragen.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin bzw. der Widerbeklagte zu 2 vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf EUR 419.798,51 festgesetzt.
Gründe
A. Die Parteien streiten über Ansprüche der Beklagten aus Schutzrechtsverletzungen und Schadensersatzansprüche der Klägerin im Zusammenhang mit einer angeblich unberechtigten Abnehmerverwarnung.
Die Klägerin und die Beklagte vertreiben sog. Penisextensionsvorrichtungen, deren Anwendung zu einer langfristigen Penisverlängerung führen soll. Die Beklagte meldete am XX.XX.2002 das Gebrauchsmuster Nr. ... "Vorrichtung zur dauerhaften Verlängerung langgestreckter Körperteile" an (Anlagenkonvolut K10). Sie ist außerdem Inhaberin des am XX.XX.2002 eingetragenen Designs Nr. ... "Medizinisches Streckgerät":
((Abbildung))
Auf Basis der Gebrauchsmusteranmeldung und unter Inanspruchnahme deren Priorität meldete die Beklagte ein europäisches Patent an, das am XX.XX.2007 erteilt wurde (EP ...). Der Patentanspruch 1 lautete wie folgt:
Vorrichtung zur dauerhaften Verlängerung langgestreckter Körperteile, insbesondere des Penis, die einen Stützring, mindestens eine am Stützring gelenkig befestigte, axial federnd gelagerte und graduell längenverstellbare Streckstange sowie ein am distalen Ende der Streckstange gehaltenes, das Körperteil umspannendes Befestigungsmittel umfasst,
dadurch gekennzeichnet, dass das Befes...