Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Klagebefugnis einer Schutzgemeinschaft für Musterfeststellungsverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Verein, der nicht die in § 606 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorgegebene Mindestanzahl an Mitgliedern hat, ist als Musterkläger nicht klagebefugt.

 

Normenkette

ZPO § 606

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 30.03.2023; Aktenzeichen VII ZR 10/22)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird auf 189.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Der Musterkläger, ein eingetragener Verein, möchte im Rahmen einer Musterfeststellungsklage diverse Feststellungen im Zusammenhang mit dem Verbrauchererwerb von Orderschuldverschreibungen, Genussrechten und/ oder Nachrangdarlehen bestimmter Unternehmen erreichen.

Der Kläger ist ein im Jahre 1999 gegründeter gemeinnütziger Verein. Er ist eine qualifizierte Einrichtung im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG und seit dem 16.08.2004 in die Liste qualifizierter Einrichtungen nach § 4 UKlaG eingetragen (Bl. 33/ 403/ 559 d. A.). Zum Zeitpunkt der Klageerhebung und der mündlichen Verhandlung über die Zulässigkeit der Klage am 28.02.2020 hatte der Kläger neben "Vollmitgliedern" laut eigener Angabe auf seiner Homepage (www.(...).de) einen Großteil seiner Mitglieder (174) als "Internetmitglieder". Die Internetmitglieder zahlen einen "geringeren" Mitgliedsbeitrag als die Vollmitglieder (Bl. 402/ 566 d. A.).

Mit Schriftsatz vom 15.03.2021 hat der Kläger angekündigt, dass er mit einer Satzungsänderung alle seine Mitglieder mit vollem Stimmrecht auf der Mitgliederversammlung ausstatten und bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung für alle Mitglieder ein volles Stimmrecht einführen will (Bl. 775 R/ 776 d. A.). Gleiches hat der Kläger mit Schriftsatz vom 27.10.2021 angekündigt (Bl. 838 ff. d. A.).

Seit seiner Gründung 1999 gewann der Kläger in keinem Jahr mehr als 25 neue Mitglieder hinzu. Im Juni 2018 hatte er noch 249 Mitglieder, hauptsächlich Vollmitglieder (Bl. 403 d. A.). Nach Inkrafttreten des Gesetzes über das Musterfeststellungsverfahren am 01.11.2018 stieg die Mitgliederzahl sprunghaft von 249 auf 423 an. Bei allen diesen 174 Neumitgliedern handelt es sich um Internetmitglieder (Bl. 402 f. d. A.). Als Anlage K 4 hatte der Kläger mit Klageschriftsatz vom 21.12.2018 eine anonymisierte Liste der seinerzeitigen 423 Mitglieder vorgelegt. Mindestens 35 Mitglieder aus dieser Liste sind oder waren Mitarbeiter der Rechtsanwaltskanzleien, die den Kläger in verschiedenen Musterfeststellungsklagen vertreten (Bl. 398 - 400, 407 f. d. A.). Am 09.07.2019 hatte der Kläger 431 Mitglieder (Bl. 562 d. A.). Derzeit soll der Kläger 391 Mitglieder haben (Bl. 775 R d. A.). In der Anlage K 388 (Bl. 778 - 808 d. A.) zum Klägerschriftsatz vom 15.03.2021 hat der Kläger eine Mitgliederliste unter voller Nennung der Vor- und Nachnamen und Anschriften nebst Beitrittsdaten vorgelegt. Mit Schriftsatz vom 27.10.2021 (Bl. 838 ff. d.A.) hat der Kläger als Anlage K 391 (Bl. 861-882) eine weitere Mitgliederliste vorgelegt, die ebenfalls 391 Mitglieder ausweist.

Der Kläger hat vom 01.11.2018 (Inkrafttreten §§ 606 ff. ZPO n.F.) bis zum 23.07.2019 insgesamt drei Musterfeststellungsklagen erhoben (Bl. 569/ 551 d. A.). Der Anteil der Einnahmen des Klägers aus dem Bereich "gerichtliche Tätigkeit" belief sich für das Jahr 2017 auf 97,85 % und für das erste Halbjahr 2018 auf 98,88 % (vom Kläger vorgetragen Bl. 569 oben d. A.).

Mit Schriftsatz (erst) vom 27.10.2021 (Bl. 838-844 d. A.), beim Senat eingegangen am gleichen Tage, hat der Kläger behauptet, dass sich aufgrund eines Beschlusses seiner Mitgliederversammlung vom 07.08.2021 sein Vereinssitz, seine Geschäftsadresse sowie seine Vorstandsmitglieder geändert hätten. Der bisherige Vorstandsvorsitzende Herr A sei nicht mehr im Vorstand. Neuer Vorstandsvorsitzender sei Herr C (Bl. 839 d. A.). Er behauptet weiter, Inhaber bzw. Partner sowie Mitarbeiter von Rechtsanwaltskanzleien, die von ihm mandatiert wurden bzw. sind, seien nicht mehr seine Mitglieder. Zudem sei die vorliegende Musterfeststellungsklage das erste und einzige Mandat der Klägervertreter für ihn (Bl. 840 d. A.). Schließlich seien ausweislich § 10 Abs. 2 seiner neuen, als Anlage K 389 (Bl. 845-856) vorgelegten Satzung alle derzeitigen 391 Mitglieder mit einem vollen Stimmrecht auf der Mitgliederversammlung ausgestattet, wie es der BGH im Urteil vom 17.11.2020, Az. XI ZR 171/19 gefordert hat (Bl. 841 d. A.).

Der Musterkläger behauptet, i. S. d. § 606 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ZPO nicht gewerbsmäßig (Bl. 40 ff. d. A.) überwiegend aufklärende und beratende Tätigkeiten zu entfalten. Er kläre auf durch Tipps für Vereinsmitglieder im mitgliederexklusiven Informationsbereich seiner Homepage (Bl. 35 f. d. A.), allgemeine Informationsangebote auf seiner Homepage mit mindestens 35 Zugriffen pro Jahr, Führen einer Liste von unwirksamen Bankentgelten, Informationen über Geri...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge