Entscheidungsstichwort (Thema)
Internationaler Straßengüterverkehr: Schadensersatzanspruch des Transportversicherers gegen den Frachtführer wegen Nichteinhaltung der vereinbarten Transporttemperatur bei einem Medikamententransport
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Beschädigung im Sinne von Art. 17 Abs. 1 CMR liegt vor, wenn die Herstellerangaben zur Temperaturführung eines Arzneimittels, die Voraussetzung für die Arzneimittelzulassung waren, auf einem Transport nicht eingehalten worden sind, denn in diesem Fall darf das Arzneimittel in Deutschland nicht mehr in den Verkehr gebracht werden.
2. Auch der objektiv nicht ausräumbare Verdacht einer Substanzveränderung des Frachtguts stellt eine Beschädigung im Sinne von Art. 17 Abs. 1 CMR dar. Ein solcher ist anzunehmen, wenn aufgrund der erhöhten Transporttemperatur möglicherweise ein Zusammenschluss der in dem Medikament vorhandenen Eiweißkörper in Form von Clusterbildungen eingetreten ist.
3. Sorgt der Fahrer des Lkw nicht dafür, dass die richtige Transporttemperatur eingehalten wird, obwohl ihm bewusst ist, dass er temperatursensible Medikamente befördert, für die eine konkrete Temperaturvorgabe besteht, muss sich der Frachtführer ein vorsatzgleiches Verschulden im Sinne des Art. 29 CMR entgegenhalten lassen.
4. Der Schadensersatzanspruch ist um einen Mitverschuldensanteil von 25 % zu kürzen, wenn Mitarbeiter der Versicherungsnehmerin die Verladung des Transportgutes überwacht haben und ihnen aufgrund des übergebenen Ausdrucks des Thermobandes zum Zeitpunkt der Beladung die mangelnde Vorkühlung des Lkw bekannt war.
Normenkette
CMR Art. 17, 25 Abs. 1, Art. 29; HGB § 435
Verfahrensgang
LG Darmstadt (Urteil vom 08.03.2019; Aktenzeichen 18 O 22/17) |
Tenor
Die Berufung der Streithelferin zu 2) gegen das am 8.3.2019 verkündete Urteil der 18. Zivilkammer - 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Darmstadt wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, mit Ausnahme der Kosten der Streithelferinnen, die diese jeweils selbst zu tragen haben.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Gebührenstreitwert des Berufungsverfahrens wird auf 214.749,45 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht auf Ersatz eines Transportschadens in Anspruch.
Die Klägerin ist Transportversicherer der A GmbH & Co. KGaA (nachfolgend "Versicherungsnehmerin"). Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte zu fixen Kosten mit dem Transport von 111 Packungen des Arzneimittels "Pentaglobin", eines Immunglobulin-Präparats, mit einem Bruttogesamtgewicht von 267 kg vom Lager der Versicherungsnehmerin in Stadt1/Deutschland zur Empfängerin B in Stadt2/Russland. Die Beklagte beauftragte die Streithelferin zu 1) mit der Durchführung des Transports, die ihrerseits die Streithelferin zu 2) beauftragte, die wiederum die Streithelferin zu 3) beauftragte, die den Transport schließlich durchführte.
Ausweislich des Speditionsauftrags vom 6.10.2015 (Anlage K 1, Bl. 11 d. A.) und des Frachtbriefs (Anlage K 2, Bl. 12 d. A.) sollte der Transport bei einer Temperatur zwischen +2° C und +8° C erfolgen. Dies war auch dem Ladeauftrag der Beklagten an die Streithelferin zu 1) (Anlage S 1, Bl. 33 d. A.) zu entnehmen. Der von der Streithelferin zu 1) an die Streithelferin zu 2) erteilte Auftrag (Anlage NIV 1, Bl. 175 d. A.) sah eine Transporttemperatur von +5° C vor. Eine Mitarbeiterin der Versicherungsnehmerin hatte bereits am 30.9.2015 eine E-Mail (Anlage K 16, Bl. 292 d. A.) mit dem "Verladeplan von nächster Woche" an die Beklagte geschickt, der folgenden Inhalt hatte:
"Russland: 1x Thermo 2-8° (erste Verladestelle) am 06.10.2015 - Achtung mit letzter Entladestelle Stadt3/Russland!!!!! 2x Thermo 15-25° C 09.10.2015".
Zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten bestand eine Absprache, wonach bei Sendungen, die bei unterschiedlichen Temperaturen zu befördern sind, aus Kostengründen kein Zweikammerfahrzeug gestellt werden, sondern die Sendungen zusammen befördert werden und die niedrigste der vorgegebenen Temperaturen maßgeblich sein soll.
Die Streithelferin zu 3) übernahm das Pentaglobin am 6.10.2015 bei der Lagerhalterin der Versicherungsnehmerin, der Firma C. Die Beladung erfolgte durch die Firma C in Anwesenheit von zwei Mitarbeitern der Versicherungsnehmerin. Die Streithelferin zu 3) führte die Beförderung mittels eines Thermo-Lkw durch. Der Fahrer der Streithelferin zu 3), der Zeuge D, übergab den Mitarbeitern der Firma C zum Zeitpunkt der Beladung den Ausdruck des Thermobandes, aus welchem ersichtlich war, dass der Lkw auf +20° C vorgekühlt war. Das Pentaglobin wurde anschließend bei einer Temperatur zwis...