Entscheidungsstichwort (Thema)
Unzulässige Rechtsausübung durch Berufung auf Widerrufsrecht nach § 355 BGB
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Widerrufsbelehrung, wonach die Frist für den Widerruf "frühestens mit Erhalt dieser Belehrung" beginnt, ist unwirksam, weil sie den Verbraucher über den nach § 355 Abs. 2 BGB maßgeblichen Beginn der Widerrufsfrist nicht umfassend und richtig belehrt.
2. Der Verwender kann sich auch nicht auf den Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes im Hinblick auf die Musterbelehrung nach Anl. 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoV berufen, wenn als Adressat des Widerrufs nicht die Bank selbst, sondern eine Empfangsvertreterin benannt wird.
3. Ein wegen Unwirksamkeit der Widerrufsbelehrung grundsätzlich möglicher Widerruf stellt sich als rechtsmissbräuchlich dar, wenn der Widerruf nicht mehr zum Schutz vor Übereilung erfolgte, etwa weil das widerrufene Darlehen schon seit längerer Zeit vertragsgemäß vollständig zurückgeführt worden ist. Insbesondere ist der Schutz vor Vertragsreue gerade nicht Schutzzweck des Widerrufsrechts.
Normenkette
BGB §§ 355, 242
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 27.02.2015; Aktenzeichen 3 O 103/14) |
BGH (Aktenzeichen XI ZR 545/15) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das am 27.2.2015 verkündete Urteil der 3. Zivilkammer des LG Wiesbaden wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger macht gegenüber der Beklagten Rückabwicklungsansprüche wegen verbraucherkreditrechtlichen Widerrufs eines Finanzierungsvertrages im Zusammenhang mit der Beteiligung des Klägers an dem Filmfonds X GmbH & Co. Verwaltungs KG geltend. Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 307-309 d.A.).
Das LG hat die Klage abgewiesen (Bl. 306-311 d.A.).
Die Klageabweisung begründet das LG zum einen damit, dass die Widerrufsbelehrung dem Muster der Anlage 2 zur BGB-InfoV entsprochen habe. Zum anderen führt das LG aus, dass ein Widerrufsrecht auch verwirkt sei.
Der Kläger hat gegen dieses ihm am 04.03.2015 zugestellte Urteil (Bl. 318 d.A.) am 06.03.2015 Berufung eingelegt und dieses Rechtsmittel am 14.04.2015 begründet (Bl. 332 ff. d.A.).
Die Berufung macht zunächst geltend, dass das angefochtene Urteil ein Überraschungsurteil sei, da das LG in der mündlichen Verhandlung noch darauf hingewiesen habe, dass es zur Klagestattgabe neige.
Im Weiteren wiederholt die Berufung den erstinstanzlichen Vortrag dazu, warum die Widerrufsbelehrung nicht dem Muster entsprochen habe.
Schließlich ist die Berufung der Ansicht, dass keine Verwirkung gegeben sei.
Insbesondere fehle es aus mehreren Gründen an dem Vorliegen des Umstandsmomentes.
Insbesondere fehle der Beklagten das schutzwürdige Vertrauen, da sie auf eine Nachbelehrung der Kunden verzichtet habe.
Zudem liege auch kein abgeschlossener Lebenssachverhalt vor. Es sei nicht isoliert auf eine angebliche Beendigung des Darlehensvertrages abzustellen, sondern ebenfalls auf die weiterhin bestehende und damit verbundene Fondsbeteiligung. Zudem habe sich die Beklagte gerade nicht auf den Bestand der Verträge eingerichtet, da ihr seit vielen Jahren Widerrufe hinsichtlich der X Finanzierung zugehen würden und die Fehlerhaftigkeit der Belehrung nachgewiesenermaßen seit mindestens 2010 in gerichtlichen Urteilen festgestellt worden sei. Zudem habe der Kläger unbestritten vorgetragen, dass die Beklagte sich im Hintergrund um ihre eigenen Regressansprüche gegenüber den damals beratenden Anwaltskanzleien bemühe. Spätestens dadurch sei ein angebliches Vertrauen darauf, dass keine weiteren Widersprüche eingehen würden, klar widerlegt.
Auch spreche gegen das Vorliegen des Umstandsmoments, dass die Rückführung des Darlehens im vorliegenden Fall auch nicht vom Anleger selbst veranlasst worden sei. Ein Verhalten des Klägers, aus dem die Beklagte Rückschlüsse hätte ziehen können, sei somit nicht gegeben.
Zudem habe der Gesetzgeber in Kenntnis der Rechtsfolgen die Entscheidung getroffen, dass eine fehlerhafte Widerrufsbelehrung dazu führe, dass das Widerrufsrecht nicht erlösche. Diese Entscheidung könne nicht über die Hintertür der Verwirkung außer Kraft gesetzt werden, indem doch auf die Intention des Widerrufenen abgestellt werde, obwohl das Widerrufsrecht gerade von keiner Begründung abhängen solle, sondern frei erklärt werden könne.
Darüber hinaus stellt die Berufung auch darauf ab, dass bereits das Zeitmoment der Verwirkung nicht gegeben sei. Denn es sei nicht auf den Ablauf zwischen Abschluss des Vertrages und Erklärung des Widerrufs abzustellen. Der Kläger se...