Entscheidungsstichwort (Thema)

Arzthaftung: Aufklärungspflicht über Risiko der Schädigung des nervus lingualis bei Entfernung von Weisheitszähnen

 

Normenkette

BGB §§ 249, 253, 280, 823 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 15.01.2008; Aktenzeichen 4 O 52/06)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 15.1.2008 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer das Landgerichts Limburg an der Lahn (4 O 52/06) teilweise abgeändert.

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin über den erstinstanzlich zuerkannten Betrag hinaus weitere 5.330,55 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.6.2005 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin jeden weiteren, auch zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden aus den Behandlungen vom 12.11.2003 und vom 8.12.2003 zu ersetzen.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen, die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten als Gesamtschuldner 43 Prozent zu tragen und die Klägerin 57 Prozent.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 18.465,55 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin war Patientin der Beklagten, die gemeinschaftlich eine Zahnarztpraxis betreiben.

Der Beklagte zu 1) entfernte der Klägerin am 12.11.2003 zwei Weisheitszähne (38 und 48) aus dem Unterkiefer, präparierte vier Backenzähne (17, 36, 46 und 47) für die Aufnahme von Inlays und versah den Zahn 36 mit einer „Composite”-Füllung. Zur Entfernung der Weisheitszähne wurde eine Leitungsanästhesie gesetzt. Während des Eingriffs kam es zu einer mechanischen Beschädigung des Zahnes 37. Nach dem Eingriff erlitt die Klägerin eine schwere Entzündung, zu deren Behandlung sie vier Tage stationär in einem Krankenhaus behandelt wurde. Seit dem Eingriff leidet die Klägerin an einem Taubheitsgefühl der Zunge. Am 8.12.2003 versorgte der Beklagte zu 2) die Klägerin mit „Cerek”-Inlays.

Die Klägerin wirft dem Beklagten zu 1) vor, sie vor dem Eingriff nicht ordnungsgemäß aufgeklärt zu haben, insbesondere nicht über das Risiko einer bleibenden Nervenverletzung, wie es sich bei ihr als Schädigung des Nervus lingualis verwirklicht habe und worauf das Taubheitsgefühl beruhe. Bei der Extraktion am 12.11.2003 habe der Beklagte zu 1) sorgfaltswidrig den Nervus lingualis und den Zahn 37 beschädigt. Nach dem Eingriff habe der Beklagte zu 1) auf Entzündungsanzeichen zu spät reagiert und insbesondere die Antibiose zu spät eingeleitet. Die vom Beklagten zu 2) eingesetzten Inlays seien fehlerhaft. Schließlich seien die Keramikinlays („Cerek”) der Zähne 17, 46 und 47 nicht zwingend erforderlich gewesen, Kunststoffinlays („Composite”) hätten genügt.

Die Klage war gerichtet auf gesamtschuldnerische Verurteilung der Beklagten zu einem Schmerzensgeld von mindestens 15.000 EUR, zu materiellem Schadensersatz von 1.155,55 EUR, für dessen Einzelheiten auf Bl. 10 der Klageschrift (Bl. 10 d.A.) verwiesen wird, und auf die Feststellung der Ersatzpflicht für weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus den streitgegenständlichen Behandlungen.

Die Beklagten haben jegliche Pflichtverletzung in Abrede gestellt.

Das Landgericht hat ein schriftliches Gutachten aus einem Beweissicherungsverfahren (4 OH 24/04 – Landgericht Limburg an der Lahn) verwertet, ein Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. SV1 sowie ein Schriftgutachten eingeholt, Zeugen vernommen und die Parteien persönlich angehört. Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird im Übrigen auf das angefochtene Urteil vom 15.8.2008 verwiesen (Bl. 252 ff d.A.)

Das Landgericht hat die Klage im Wesentlichen abgewiesen. Die Klägerin habe eine unterlassene Aufklärung durch den Beklagten zu 1) nicht bewiesen. Die eingetretene Verletzung des Nervus lingualis sei ein anerkanntes Risiko und auch bei sorgfältiger Operationstechnik nicht immer zu vermeiden. Ein Nachbehandlungsfehler hinsichtlich des Beginns der Antibiose sei nicht zu erkennen. Die Füllung der Zähne 46 und 47 durch den Beklagten zu 2) sei zwar insuffizient, ein Behandlungsfehler stehe aber nicht fest. Die Behandlung sei mangels Mitwirkungsbereitschaft der Klägerin schwierig gewesen. Die Behandlung sei am 8.12.2003 nicht abgeschlossen gewesen. Weil die Klägerin die Behandlung danach abgebrochen habe, habe sie die Möglichkeit der Kontrolle und ggf. weiterer Korrekturmaßnahmen vereitelt. Die Klägerin sei mit Keramikinlays für den Fall der medizinischen Notwendigkeit einverstanden gewesen, was sich aus der Dokumentation (Inhalt von Bl. 115 d.BA.: „wo möglich Composite”) ergebe. Eine solche Notwendigkeit habe bei den großflächiger beschädigten Zähnen 46 und 47 bestanden. Zugesprochen hat das Landgericht der Klägerin lediglich einen Betrag von 190 EUR nebst Zinsen, der die Mehrkosten eines Keramikinlays für den Zahn 17 betrifft.

Die Klägerin verfolgt mit der Berufun...

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