Leitsatz (amtlich)

Zur Haftung des Bundeslandes wegen möglicher richterlicher Auslegungsfehler im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 80 VwGO unter den Gesichtspunkten des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsanspruches und der Amtshaftung.

 

Normenkette

BGB § 839; EG Art. 10, 56; GG Art. 34; KWG § 1 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt (Oder) (Aktenzeichen 2-04 O 115/07)

 

Gründe

A. Die Klägerin nimmt das beklagte Land (nachfolgend: den Beklagten) mit der Begründung auf Schadensersatz in Anspruch, das VG Frankfurt/M. und der Hessische Verwaltungsgerichtshof hätten in einem Verfahren nach §§ 80 Abs. 5, 146 VwGO zu ihren Lasten europäisches Recht fehlerhaft bzw. nicht angewendet.

Die Klägerin bot Kapitalanlagen in der Form von Zertifikaten an. Das ihr von den Erwerbern der Zertifikate überlassene Kapital legte sie in eigenem Namen teilweise in Aktien, teilweise in Hedge-Fonds an. Die Kapitalanleger partizipierten an der Wertentwicklung dieser "Portfolios" durch eine Anpassung des von der Klägerin zu zahlenden Rücknahmepreises für die Zertifikate, die außerdem an der XX Börse gehandelt wurden. Mit Verfügung vom 19.2.2003 untersagte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (nachfolgend: BaFin) der Klägerin, zukünftig Gelder von Dritten für diese Zertifikate entgegenzunehmen und diese zu bewerben; sie ersuchte die Klägerin um Mitwirkung an einem Prüfungsverfahren und drohte für den Unterlassensfall sofort vollziehbar ein Zwangsgeld an. Sie meinte, das Geschäftsmodell der Klägerin sei als nach § 32 KWG erlaubnispflichtiges Finanzkommissionsgeschäft i.S.v. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG anzusehen; eine derartige Erlaubnis war der Klägerin nicht erteilt worden.

Die Klägerin legte unter dem 25.2.2003 Widerspruch gegen die Verfügung vom 19.2.2003 ein, den die BaFin mit Bescheid vom 12.3.2004 zurückwies. Außerdem stellte sie einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Diesen lehnte das VG Frankfurt/M. mit Beschluss vom 12.6.2003 (Az. 9 G 955/03 [1]) ab; es schloss sich der Ansicht der BaFin zur Qualifizierung des Geschäftsmodells der Klägerin als Finanzkommissionsgeschäft an und meinte, hierfür reiche aus, dass die Vor- und Nachteile der klägerischen Investitionen wirtschaftlich betrachtet den Inhabern der Zertifikate zugute kämen bzw. zur Last fielen. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof wies die dagegen gerichtete Beschwerde der Klägerin mit Beschluss vom 27.8.2003 (Az. 6 TG 1581/03) zurück und billigte in den Entscheidungsgründen die Auffassung des VG zur Auslegung des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG im Sinne einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise. Unter dem 15.4.2004 erhob die Klägerin gegen den Bescheid vom 19.2.2003 Klage zur Hauptsache, primär als Nichtigkeits-, hilfsweise als Anfechtungsklage. Letztere hatte in erster und zweiter Instanz Erfolg. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof rückte in seinem Urteil vom 13.12.2006 (Az. 6 UE 3084/05) von der "wirtschaftlichen Betrachtungsweise" ab und meinte, die Klägerin habe für ihre Geschäfte keiner Erlaubnis nach § 32 KWG bedurft, insbesondere lägen keine Finanzkommissionsgeschäfte i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 KWG vor. Das BVerwG hat die Revision der BaFin mit Urteil vom 27.2.2008 zurückgewiesen (Az. 6 C 12.07); die Entscheidung ist noch nicht veröffentlicht. Zwischenzeitlich hatte die BaFin gegen die Klägerin unter dem 17.9.2006 ein Zwangsgeld verhängt, weil diese keine Auskunft über die angeordnete Abwicklung erteilt hatte. Auch gegen die Zwangsgeldverfügung legte die Klägerin mit anwaltlicher Unterstützung einen Rechtsbehelf ein.

Die Klägerin verlangt im vorliegenden Verfahren von dem Beklagten den Ersatz der ihr im o.a. Eilverfahren und im Zwangsgeldverfahren entstandenen Gerichts- und Anwaltskosten, die sie auf insgesamt 10.697,69 EUR beziffert; hiervon sind 3.084 EUR unstreitig. Mit diesen Kosten sei sie allein deshalb belastet worden, weil das VG und der Verwaltungsgerichtshof das europäische Recht grob fehlerhaft falsch bzw. überhaupt nicht angewandt hätten. Außerdem hat sie noch einen Feststellungsantrag gestellt, den sie mit der Berufung nicht weiter verfolgt.

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.

Das LG hat die Klage hinsichtlich des Feststellungsantrages als unzulässig, hinsichtlich des Zahlungsantrages im Kern mit der Begründung als unbegründet abgewiesen, es fehle an einem qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht, an einer offenkundigen Missachtung europarechtlicher Vorschriften.

Die Klägerin rügt mit ihrer Berufung, das LG habe unter Verstoß gegen § 139 ZPO den Sachstand nicht mit den Parteien erörtert. Es habe einen mit der Rechtsprechung des EuGH, insbesondere den Leitentscheidungen "Köbler" (NJW 2003, 3539 ff.) und "Traghetti" (NJW 2006, 3337 ff.) unvereinbaren Haftungsmaßstab zugrunde gelegt; das VG und der Verwaltungsgerichtshof hätten die einschlägige Rechtsprechung des EuGH offenkundig verkannt, nach der die Aufnahme...

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