Entscheidungsstichwort (Thema)
Relevanz von Obliegenheitsverletzungen im Auskunftsprozess
Verfahrensgang
LG Hanau (Urteil vom 23.03.2022; Aktenzeichen 4 O 1171/21) |
Tenor
Die Entscheidung ist nicht anfechtbar.
1. Die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin gegen das am 23.03.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Hanau (4 O 1171/21) wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte und Berufungsklägerin.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 7.000,- EUR festgesetzt.
Gründe
I. Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts und der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird abgesehen (§ 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Zur näheren Begründung wird zunächst auf die zutreffenden Urteilsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Die mit der Berufungsbegründung vorgebrachten Gesichtspunkte können eine Abänderung des angefochtenen Urteils nicht rechtfertigen.
Dass dem Kläger grundsätzlich ein Auskunftsanspruch in das vorliegende Kaskogutachten zusteht, hat die Beklagte anerkannt und sich lediglich damit verteidigt, dieser sei aufgrund von Obliegenheitsverletzungen des Klägers bzw. dessen Unredlichkeit nicht schutzwürdig.
Die von der Beklagten angenommene Leistungsfreiheit bzw. Unredlichkeit, steht aber nicht bereits im Rahmen der Auskunftsklage fest. Die entsprechende Aufklärung ist dem Verfahren über die Versicherungsleistung vorzubehalten, weswegen nur unstreitige Umstände einer rechtlichen Bewertung bereits im Rahmen der Auskunftsklage zugänglich sind, denn die Einsichtnahme in das Kaskogutachten hat auch den Zweck, dem Versicherungsnehmer erst eine vollständige Prüfung zu ermöglichen, ob und in welcher Höhe er überhaupt einen Anspruch gegen seinen Kaskoversicherer hat. Zwänge man den Versicherungsnehmer bereits in der Auskunftsklage dazu, den Kaskoprozess zu führen, wäre der mit der Auskunft verfolgte Zweck obsolet oder - in denjenigen Fällen, in denen ein Kaskoprozess ohne Einsicht nicht schlüssig begründbar wäre - nicht erreichbar.
Sofern die Beklagte einwendet, sie sei sicher leistungsfrei, weil der Kläger Obliegenheiten verletzt habe, indem er die auf den Vorunfall bezogenen Reparaturbelege nicht vorlegen könne, ist dies nicht nachvollziehbar. Zunächst ist schon nicht ersichtlich, dass den Kläger gegenüber dem Haftpflichtversicherer des damaligen Unfallgegners eine entsprechende Belegpflicht getroffen hätte, da der Vorunfall fiktiv abgerechnet wurde. Ferner ist nicht dargetan oder erwiesen, dass der Kläger Belege in unredlicher Schädigungsabsicht gegenüber der Beklagten zur Verschleierung des streitgegenständlichen (Nach-)Unfalls vernichtet hätte.
Auch mit dem Einwand von Obliegenheitsverletzungen bezüglich des streitgegenständlichen Unfalls kann die Beklagte ihre Leistungsfreiheit nicht begründen.
Dabei kann dahinstehen, ob der Kläger ggf. sogar grob fahrlässig Obliegenheiten verletzt hat, denn im Rahmen des Auskunftsprozesses wären Obliegenheitsverletzungen nur relevant, wenn ihre Verletzung gegen die Redlichkeit des Versicherungsnehmers spräche, was regelmäßig nur bei Vorsatz und Arglist anzunehmen wäre.
Das von der Beklagten angeführte unerlaubte Entfernen vom Unfallort in seiner konkreten Ausprägung des Falles ist sub specie des Versicherungsvertragsrechts jedenfalls unter Zugrundelegung der unstreitigen Umstände vorliegend als allenfalls grob fahrlässiger Verstoß gegen die Obliegenheit anzusehen. Dies ergibt sich aus dem Charakter der Obliegenheit als einer spontan zu erfüllende Verpflichtung und aus den konkreten Umständen des Einzelfalls, nach denen für eine möglichst zügige Verbringung des Fahrzeugs aus dem Gefahrenbereich bei Dunkelheit die mögliche Gefährdung der Passagiere (Ehefrau und Kinder) durch nachfolgenden Verkehr sprach. Ferner waren nach Darstellung des Klägers keine Fremdschäden feststellbar. Unter Umständen genügte deshalb bereits die vom Kläger behauptete Wartezeit von 15 Minuten. Die entsprechende Beweiserhebung und Beweiswürdigung ist jedoch dem Leistungsprozess vorzubehalten.
Sofern die Beklagte sich darauf beruft, der Kläger habe im Rahmen der Regulierung bei den Ortsterminen widersprüchliche Angaben zum Unfallort gemacht habe, spricht dies ebenfalls nicht gegen die Redlichkeit des Klägers, sondern kann mit mindestens gleicher Wahrscheinlichkeit auf einer Verwechslung beruhen, wovon auch die Beklagte auf S. 6 der Klageerwiderung ausgeht, zumal sich der Unfall frühmorgens im Spätherbst bei Dunkelheit ereignete und die konkrete Örtlichkeit der Bundesstraßenausfahrt B43/B43a, was allgemein bekannt ist, wenig charakteristisch ist.
Sofern die Berufung rügt, der Kläger habe entgegen seinen Angaben im Fragebogen vom 07.02.2021 in der Klageschrift nicht angegeben, dass auch seine Ehefrau im Aut...